Wir schreiben das Jahr 2072 als wir in Kathmandu aus dem Flieger steigen.
Die Nepalis rechnen nämlich nach dem Vikram Samwat Kalender und feiern
im Frühling Neujahr. Es gibt jedoch noch eine andere Zeitrechnung...
... Jahr 1 nach dem grossen Erdbeben im April 2015. Auf dem Weg vom Flughafen ins Zentrum kommen wir an einer riesigen Zeltstadt vorbei. Hier wohnen noch immer diejenigen, deren Häuser durch das Erdbeben zerstört und noch nicht wieder aufgebaut wurden.
In Thamel, dem Backpacker-Viertel Kathmandus ist von dem Erdbeben nichts mehr zu spüren. Hier steppt der Bär. Neben italienischen Pizzerias und Cafe-Bars, Biergärten, Hostels und Reiseagenturen findet man hier auch einen Laden mit Trekking- und Bergsteigerbedarf neben dem anderen. Jacken, Hosen, Rucksäcke von Jack Wolfskin, North Face, Mammut usw. baumeln von Stangen auf die Strasse – nur ein Bruchteil der Markenware ist echt – oder neu. Dafür aber um einiges günstiger als bei uns.
Wir quartieren uns in einem zentral gelegenen Hostel ein und organisieren unsere erste Trekkingtour mit einem lokalen Reiseanbieter. Nebenbei besichtigen wir bereits die ersten Sehenswürdigkeiten.
Von der grossen Bodnath-Stupa, die für Buddhisten und Hindus gleichermassen ein heiliger Ort ist, steht nach dem Erdbeben nur noch der Sockel. Wie es sich gehört, umrunden wir die Stupa einmal gegen den Uhrzeigersinn.
Wir besuchen den Hindu-Tempel von Pashupinath. Hier am Fluss erleben wir eines der traditionellen Beerdingungsrituale mit. Den Bereich, an dem die Hindus ihre Toten zum Verbrennen aufbahren, dürfen wir allerdings nicht betreten, sondern können ihn nur von der gegenüberliegenden Flussseite betrachten. An den Tempeln sitzen Sadhus, heilige Männer, in bunte Tücher gehüllt und bunt bemalt, und lassen sich bereitwillig gegen Trinkgeld fotografieren. Dazwischen rennen Affen hin und her auf der Suche nach einem Leckerbissen und immer wieder verstellen uns heilige Kühe den Weg. Eine bizarre Stimmung.
Wir laufen durch die trubeligen Strassen Kathmandus, vorbei an unzähligen Tempeln und Märkten bis zum Durbar Square. Hier sind die Auswirkungen des Erdbebens noch sehr deutlich zu sehen. Viele Gebäude sind mit Stangen abgestützt und dürfen nicht betreten werden. Von einigen Tempeln sind nur noch Steinhaufen übrig, während andere, genau daneben, völlig unversehrt wirken – von einigen Rissen und schief hängenden Dächern einmal abgesehen. An den Fassaden der Häuser kleben Aufkleber: Grün heisst, das Gebäude ist sicher. Gelb bedeutet, dass man das Gebäude nur im Notfall betreten sollte. Und Rot signalisiert, dass es sich um ein einsturzgefährdetes Haus handelt.
Noch eine weitere Besonderheit Kathmandus fällt uns auf: Die einzelnen Stadtviertel sind nur zu wenigen festen Zeiten mit Strom versorgt (Load-Shedding). In unserem Hostel hat es zum Beispiel Strom von 13-17 Uhr und von 23-8 Uhr. In den übrigen Zeiten muss die Stromversorgung selbstständig, also mittels Generator, sichergestellt werden. Für uns heisst das: Vor 23 Uhr ist mit Schlaf nicht zu rechnen, denn zu dem irrsinnigen Verkehrslärm gesellt sich bis 23 Uhr auch noch der Lärm des Generators.
Wir fahren mit dem Taxi früh morgens nach Patan. Die Nepalis scheinen keine Frühaufsteher zu sein. Die Strassen sind noch nahezu leer. Normalerweise drängt sich Fahrzeug an Fahrzeug, auf einer normalen vierspurigen Strasse wetteifern schon mal bis zu zehn Fahrzeuge nebeneinander um die Lücke, die sich vor ihnen im Verkehrschaos auftut. Begleitet wird das Ganze durch ein nie abbrechendes Gehupe und von Unmengen an schwarzen Auspuffschwaden.
In Patan besuchen wir den Durbar Square, den Goldenen Tempel und die Ashokta Stupa, bevor wir nach Kathmandu zurückkehren, um am späten Nachmittag noch die etwas ausserhalb auf einem Hügel liegende Swayambhunath Stupa zu besichtigen. Schon beim Aufstieg über unzählige Stufen fällt uns auf, dass der Himmel über uns immer dunkler wird. Wir schaffen nur noch eine Viertelumrundung der Stupa, bevor der Sturm los bricht. Gerade noch rechtzeitig folgen wir dem Winken eines Händlers in seinen Laden – da kracht auch schon das erste Wellblech vom Dach nebenan und landet genau dort, wo wir gerade noch standen. Es folgen weitere Sturmböen, gefolgt von weiteren Teilen des Daches und begleitet von heftigem Regen. Erst eine Stunde später machen wir uns mit eiligen Schritten auf den Weg zurück Richtung Hotel.
Am nächsten Morgen soll es Richtung Everest-Gebiet gehen. Zwei Tage lang konnte aufgrund schlechter Wetterbedingungen kein Flugzeug nach Lukla starten. Lukla als Flughafen hat es nämlich in sich – und kann nur bei besten Bedingungen und vor allem guter Sicht angeflogen werden. Doch dazu mehr im nächsten Bericht.
Kommentar schreiben
Ingrid Wolf (Montag, 18 April 2016 09:03)
Wunderschöne Bilder. Beim Lesen Eures ersten Berichtes taucht man in eine fremde Welt ein.