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Indien: Amritsar und Agra

Der Goldene Tempel in Amritsar
Der Goldene Tempel in Amritsar

Ganz am Anfang unserer Reise, im Flieger nach Kathmandu, hatten wir im Flugmagazin ein Bild vom Goldenen Tempel der Sikh in Amritsar gesehen, das uns sofort in seinen Bann gezogen hatte. Mit Bedauern mussten wir jedoch seinerzeit feststellen, dass der indische Bundesstaat Punjab nicht auf unserer Reiseroute lag. Doch nun, da wir unsere ursprünglichen Pläne ohnehin schon geändert hatten und von Ladakh nach Kashmir gereist waren, rückte Amritsar in greifbare Nähe. Eine Chance, die wir uns natürlich nicht entgehen lassen können. Wir buchen also einen Flug von Srinagar nach Amritsar. 


Amritsar / Punjab

  

Jetzt endlich sind wir also in Indien angekommen. Natürlich gehören auch Ladakh und Kashmir zu Indien, trotzdem sind diese beiden Bundesstaaten anders als der Rest des Landes. Ladakh ist nicht nur geografisch, sondern auch kulturell näher an Tibet, hier findet man zwischen schneebedeckten Bergen und buddhistischen Klöstern noch Ruhe und Einsamkeit. Kashmir ist muslimisch, hier ertönt fünf Mal am Tag der Ruf des Muezzin von den Minaretten der Moscheen und während des Ramadan sind tagsüber die Restaurants geschlossen und die Strassen leer.

 

In Amritsar dagegen gibt es auf den Strassen der Altstadt keinen freien Zentimeter. Die Ladenbesitzer nutzen die Gehwege und Treppenstufen vor ihren Geschäften, um ihre Ware auszustellen. Mobile Händler bieten ihre Produkte auf Schubkarren, Fahrradanhängern oder aus Bauchläden feil. Auf dem Boden sitzen Bettler neben schlafenden Hunden. Strassenkinder laufen mit riesigen Säcken umher und sammeln leere Plastikflaschen auf. Rikscha- und Mopedfahrer halten Ausschau nach Fahrgästen. Und eine schier unfassbare Masse von Fussgängern bahnt sich ihren Weg über Baustellen hinweg vorbei an allen festen und sich bewegenden Hindernissen. Wohin man auch läuft, immer ist irgendwer im Weg, schubst und drängelt sich jemand an einem vorbei. Will man die Richtung wechseln, muss man sich seinen Weg auf die andere Strassenseite hart erarbeiten. Überall hupt, klingelt, ruft es. Der Strassenlärm wird untermalt durch laute Musik. In der Luft liegen die unterschiedlichsten Gerüche, mal riecht es nach Schweiss und Staub, mal duftet es verführerisch nach indischem Curry, zwei Meter weiter stinkt es nach Kloake. Und von oben brennt die Sonne unerbittlich grell und intensiv auf das bunte Treiben herab. Es hat 42 Grad im nicht vorhandenen Schatten. Bei einer Luftfeuchtigkeit von über 60%. Es ist heiss, es ist feucht, es ist laut, es ist dreckig.

 

Und von einer Sekunde auf die andere ist alles anders. Ganz so als wären wir plötzlich in einer anderen Welt gelandet. Die gleichen Menschen, die sich vor einer Sekunde noch mit vollem Körpereinsatz ihren Platz in der sich vorwärts schiebenden Masse erkämpft haben, sitzen jetzt friedlich, entspannt und in sich gekehrt auf dem weissen Marmorboden vor dem Eingang des Goldenen Tempels. Wir geben unsere Schuhe an einem der Schalter ab, versorgen uns mit Infomaterial, holen uns eines der kostenlosen Tücher, um unseren Kopf zu bedecken und waten barfuss durch das Wasserbecken, um unsere Füsse zu reinigen, vorbei an den Torwächtern und mitten hinein ins indische Märchen. In der Mitte eines künstlichen Sees liegt, über einen Steg erreichbar, ein Tempel, dessen Innen- und Aussenwände sowie die Kuppel mit echtem Gold verkleidet und verziert sind. Aus den Lautspechern ertönt ein melodiöser Singsang, Rezitationen aus dem Buch der Sikh, dem „Sri Guru Granth Sahib“.

 

Der Sikh Tempel steht allen Menschen offen, egal welcher Religion sie angehören. Wer will, kann im Tempel schlafen oder auch, natürlich kostenlos, im Tempel essen. Pro Tag geben freiwillige Helfer 85´000 Essen aus. Freiwillige sind es auch, die die Teller spülen, die den weissen Marmorboden fegen, die aufpassen, dass niemand von denen, die am Rand des Sees sitzen, seine Füsse im Wasser baumeln lässt. Baden allerdings ist erlaubt. Wer im heiligen Wasser untertaucht, wird angeblich von allen Krankheiten geheilt. Für Frauen gibt es ein Badehäuschen in einer Ecke des Sees. Männer sind den neugierigen Blicken der Touristen ausgesetzt. Aber davon, also von den Touristen, hat es zum Glück nicht viele.

 

Und gerade weil es nicht viele Touristen hat, fallen wir inmitten der farbenfroh gekleideten Inder auf wie ein bunter Hund. Immer wieder stehen plötzlich Kinder vor uns, strecken uns die Hand hin und rufen „Hello“ und „Welcome“. Eltern platzieren ihre Kleinsten neben dem grossen Tobias und machen Fotos. Und wenn man schon mal dabei ist, dann gibt es auch gleich noch ein Gruppenfoto mit der ganzen Familie, meist gefolgt von weiteren Aufnahmen. Oma mit Tobias. Tobias mit Mama. Papa mit Gudrun. Gudrun mit den Geschwistern. Und wenn eine Familie alle Varianten durch hat, dann steht die nächste Gruppe schon mit gezückten Handys bereit. Es wird viel gelacht und rumgealbert und wer kann, nutzt die Chance auch gleich für einen kleinen Small Talk. Vor allem Studenten, die davon träumen, ins Ausland zu gehen, fragen oft ganz ungeniert, ob wir wohl Zeit hätten für ein Gespräch, denn sie möchten gern ihr Englisch verbessern. Meist stellen sie uns dann ganz gezielte Fragen, nicht nur um ihr Englisch zu verbessern, sondern auch um ihr Wissen zu den Gepflogenheiten der westlichen Welt zu erweitern und damit ihre Chancen bei den Aufnahmetests diverser westlicher Unis zu erhöhen. Wir sind also schwer beschäftigt… Beim ersten Besuch des Goldenen Tempels brauchen wir fast drei Stunden, um einmal um den See zu laufen. Beim zweiten und dritten Besuch finden wir immerhin die Muse, auch mal am Seeufer zu sitzen und dem Treiben um uns herum zuzuschauen und der Musik zu lauschen. Beim vierten Besuch schaffen wir es, uns die Küche und die Schreine für die Bücher anzuschauen. Und erst beim fünften Besuch schaffen wir es tatsächlich auch ins Innere des Goldenen Tempels.

 

Zwischendurch schlendern wir durch die Strassen des Bazaars, kaufen zuckersüsse Süssigkeiten, trinken Lassi oder essen Paratha, ein gefülltes Fladenbrot. Und natürlich machen wir auch einen Ausflug an die pakistanische Grenze. Denn hier findet jeden Tag um 17.30 Uhr eine Border Closing Zeremonie statt, die man nur mit einem Wort beschreiben kann: skurril.

 

Zusammen mit tausenden von Indern und einer Handvoll von Touristen sitzen wir auf den Stufen der eigens für dieses Spektakel gebauten Tribüne. Schon eine Stunde vorher sind die Ränge zu beiden Seiten der Strasse, die zum Grenztor führt, gut gefüllt. Die Stimmung ist gut und wird noch besser, als das Rahmenprogramm beginnt. Erst dürfen alle, die wollen, die indische Fahne einmal bis zur Grenze und wieder zurück tragen. Für die besten Läufer gibt es tobenden Applaus. Nach einer Breakdance-Einlage gibt es Disco für alle – und tatsächlich strömen die indischen Mädchen und Frauen hinunter und verwandeln die Strasse in eine Tanzfläche. Zur Erinnerung: Es hat 42 Grad im Schatten. Nur Schatten hat es leider keinen.

 

Mittlerweile hat sich auch die Tribüne auf der pakistanischen Seite gefüllt. Die Show kann beginnen. Die Grenzsoldaten mit ihrem extravaganten Kopfschmuck – sowohl die indischen als auch die pakistanischen – patrouillieren vor dem Eisentor und vollführen dabei wahre Kunststücke. Aus dem Stand werfen sie ihre Beine senkrecht in die Luft und übertrumpfen sich gegenseitig mit Drohgebärden und bösen Blicken. Die Zuschauer kommentieren das Spektakel mit lauten Rufen („Hindustan“), donnerndem Applaus und schallendem Gelächter. Schliesslich werden synchron die beiden Fahnen eingezogen. Das Tor geht zu. Die Grenze ist geschlossen. Fertig. Friedlich und erstaunlich leise macht sich die Menschenmenge auf den Heimweg. Und als hätten die Inder nicht schon genug lustige Fotos von skurrilen Grenzsoldaten geschossen, müssen natürlich auch wir wieder fürs Familienalbum herhalten. 

 

 

Agra / Uttar Pradesh

 

Unsere nächste und letzte Station auf unserer Reise führt uns nach Agra. Von Anfang an stand für uns fest: Wir wollen den Taj Mahal sehen.

 

Auf dem Weg nach Agra besichtigen wir Akbars Tomb, das Mausoleum eines der Moghul-Herrscher und seiner drei Frauen. Akbar hatte eine Hindu, eine Muslima und eine Christin zur Frau. Entsprechend finden sich auch Stilelemente aus allen drei Religionen an den Wänden und in den Gewölben des Mausoleums. Die gleiche interessante Mischung an Elementen finden wir erstaunlicherweise auch in der Freitagsmoschee in der aus rotem Sandstein gebauten, verlassenen Stadt „Fatehpur Sikri“. Auch das rote Fort ist aus rotem Sandstein gebaut, allerdings nicht ganz. Der spätere Anbau bzw. die Erweiterung ist aus weissem Marmor. Jeder Herrscher hatte eben so seine Vorlieben.

 

Von einer ganz besonderen Liebe zeugt das wohl romantischste Bauwerk, das es auf dieser Welt gibt: Der Taj Mahal. Als seine geliebte Frau Mumtaz Mahal im Jahre 1631 starb, liess der Gross-Moghul Shah Jahan ein Mausoleum in Form einer Moschee für sie errichten. 58 Meter hoch, 56 Meter breit, komplett aus weissem Marmor. Siebzehn Jahre hat es gedauert, bis das Bauwerk fertig gestellt war. Heute sind die beiden, Shah Jahan und Mumtaz Mahal, wieder vereint und gemeinsam im Mausoleum bestattet.

 

Um der Hitze und den Menschenmassen zu entgehen, besichtigen wir den Taj Mahal um 5.30 Uhr morgens. So können wir in Ruhe fotografieren und auch die hübsche Parkanlage in Ruhe geniessen.

 

Die 1.7-Millionen-Einwohner-Metropole Agra selbst hat wenig Charme. Der Bezirk in der Umgebung des Taj Mahal ist ein richtiges Dreckloch. Die Hotels sind zu teuer für das was sie bieten und das Essen in den umliegenden Restaurants ist das schlechteste auf unserer gesamten Reise. Kein Grund, um hier länger als nötig zu bleiben. Am späten Vormittag machen wir uns auf den Weg Richtung Delhi.

 

Von Agra nach Delhi sind es ca. 250 km. Auf der neu gebauten Autobahn sollte das in drei Stunden machbar sein. Doch leider ist fast die komplette Autobahn Baustelle, denn es wird nun nachträglich die Kanalisation ergänzt, damit während der jährlichen Monsunregen, das Wasser nicht auf der Strasse stehen bleibt. Angesichts des bereits vor der Tür stehenden Monsuns sicher nicht die schlechteste Idee. Doch nun folgt eine Umleitung auf die nächste und führt uns über Land und durch die Dörfer. Die Menschen hier leben in recht bescheidenen Verhältnissen – und das ist noch positiv ausgedrückt. Viele haben nicht mehr als eine winzige Hütte mit einem einzigen Raum. So etwas wie ein Klohäuschen sehen wir nie. Dafür sehen wir Müll soweit das Auge reicht. Müll vor den Häusern, Müll entlang der Strasse, Müll auf den Feldern, Müll in den Büschen und unter den Bäumen – und vor allem Müll in den Flüssen, Bächen, Seen und Tümpeln. Wo immer es Wasser gibt, ist es zugemüllt, dreckig und stinkt. Brunnen allerdings gibt es erst, als wir uns Delhi nähern.

 

Von Delhi sehen wir nichts. Nicht nur weil wir beschlossen haben, die Besichtigung von Delhi auf ein nächstes Mal zu verschieben, sondern auch, weil die Stadt zur Zeit im Smog versunken ist.

 

Müde und nachdenklich checken wir am späten Abend in unser Hotel in der Nähe des Flughafens ein. Wir können und wollen es gar nicht so recht glauben, dass morgen schon unser Flieger nach Hause geht. Irgendwie fühlt sich das nicht richtig an. So schnell können doch keine drei Monate vergangen sein…

 

Drei Monate waren wir unterwegs in Nepal und Nordindien. Unsere Reise war abwechslungsreich und interessant, spannend und entspannend zugleich, anstrengend und manchmal mühsam, aber nie langweilig. Die Eindrücke und Erlebnisse werden eine Weile nachwirken, das ist sicher. Nepal hat uns beeindruckt und fasziniert wegen seiner atemberaubenden Landschaft. Aber ob wir nochmals nach Nepal reisen werden… wir werden sehen. Indien allerdings hat uns überrascht und begeistert. Es ist weniger die Landschaft, es sind eher die Sehenswürdigkeiten, aber allen voran die Menschen, die den Reiz Indiens ausmachen. Indien fordert den Reisenden, weil es alle Sinne gleichzeitig und übermässig anspricht. Aber gerade das macht Lust auf mehr.

 

Nach der Reise ist vor der Reise … 


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Kommentare: 1
  • #1

    Irene (Freitag, 08 Juli 2016 20:35)

    Ihr zeigt uns das pralle Leben, bunt, ein Farbenrausch, tolle Architektur, kunstvolle Steinmetzarbeiten, goldene Mosaiken, ein Märchen aus 10001 Nacht und daneben fröhliche Menschen, lautes Treiben und beeindruckendes Nebeneinander vieler Ethnien und Kasten, das die Konflikte, Armut und Umweltsünden kurzzeitig in den Hintergrund treten lassen. Ein widersprüchlicher, faszinierender Kontinent, den ich mir durch euere Berichte gerne vermitteln lasse. Der Indien-Virus hat euch wohl gepackt. Wir werden es sicher erfahren.