Reisebericht 31 vom 17.08.07 – 06.09.07: Argentinien - Ruta del vino


Route: Salta – Cachi – Seclantás – Molinos – Quebrada de la Flecha – Cafayate – Quebrada de las Conchas – Quilmes – Hualfín – Chilecito – Villa Unión – San José de Jachal – Difunta Correa – San Juan – Nationalpark El Leoncito – Uspallata – Mendoza – Potrerillos – Penitentes – Nationalpark Aconcagua


Die Stadt Salta, die den Beinamen „La Linda – die Hübsche“ trägt, hätte eine Schönheitskur bitter nötig. Vom einstigen Glanz der Kolonialstadt ist nicht mehr allzu viel zu sehen. Stattdessen wird wild durcheinander gebaut: Betonklötze neben Kolonialstilkirchen, Glaspaläste neben Bretterbuden. Wir wollen hier nur einkaufen und den Landy, der von der Fahrt über den Altiplano stark salzverkrustet ist, waschen lassen. Nach einigem Suchen finden wir in der Innenstadt ein »Lavadero«, das einigermaßen ordentlich aussieht. Die Jungs geben sich auch wirklich alle Mühe – seifen ein, schrubben, polieren, wischen nach – und machen sich dann zu viert über den Innenraum her. Über uns an der Wand hängt ein Schild, das davor warnt, Wertsachen im Auto zu lassen. Tobias und ich stehen dabei und überwachen mit Argusaugen acht flinke Hände, die mit Staubsauger, Staubtuch und Pinsel vor keiner Ritze Halt machen. Doch auch wir merken nicht, dass einer der Putzteufel versehentlich auf den Einschaltknopf der Wasserpumpe kommt – und so den gesamten Innenraum unter Wasser setzt. Die für den Nachmittag geplante Stadtbesichtigung fällt aus. Wir fahren auf den Campingplatz, um unser Auto auszutrocknen. Auf dem Campingplatz stehen schon zwei andere Reisemobile: ein französisches Pärchen mit einem Landrover Defender und Elke und John aus der Schweiz mit einem MAN-Truck. Wir tauschen Tipps und Tricks und Anekdoten aus. Leider sind alle – außer uns – in Süd-Nord-Richtung unterwegs, so dass sich unsere Wege wieder trennen.

 

Wir setzen unsere Fahrt fort durch den Nationalpark »Los Cardónes« – riesige Kandelaber-Kakteen, durch die Quebrada de Escoipe, über den Paso Piedra de Molino, auf dem tatsächlich ein alter Mühlstein liegt, der dem Pass seinen Namen gegeben hat, bis nach Cachi. Die Strecke ist schön, aber jahreszeitlich bedingt (nur noch mal zur Erinnerung: hier ist noch immer Winter) nicht ganz so malerisch wie im Reiseführer beschrieben. Bei Cachi biegen wir ein auf die Ruta 40, die ganz oben im Norden Argentiniens beginnt und auf über 5000 Kilometern durch ganz Argentinien bis zur Magellanstrasse führt. Hier südlich

von Cachi hat die Ruta 40 außerdem die Bezeichung »Ruta del Vino«, obwohl erst kurz vor Cafayate die ersten Rebstöcke und Bodegas entlang der Straße auftauchen. Nahezu alle Weingüter werben mit Besichtigungstouren und

Weinverköstigungen um die Gunst der in- und ausländischen Touristen. Auch wir können da nicht widerstehen. Obwohl ich mehrmals Bedenken anmelde, dass der Vormittag wohl nicht die beste Tageszeit für eine Weinprobe ist, machen wir uns gleich nach dem Frühstück auf den Weg zur Bodega Etchart. Doch dort sieht man uns bekümmert entgegen, denn schließlich ist in wenigen Minuten Siesta. Ja, ist es wirklich schon so spät? Tatsächlich, es ist zehn vor zwölf. Wir nehmen uns vor, später wiederzukommen. Doch zunächst erkunden wir die Quebrada de las Conchas, die wegen ihrer farbenfrohen und fantasievollen Sandsteinformationen ein beliebtes Ausflugsziel ist – das merkt man auch an den vielen Schildern. Jeder auch nur annähernd außergewöhnlich geformte Felsen hat einen Namen. Da gibt es »kleine Burgen«, »Fenster«, einen steinernen »Mönch«, eine »Kröte«, ein »Amphitheater« und den »roten Canyon«.

 

Beim zweiten Anlauf klappt’s: Wir erreichen die Bodega Etchart rechtzeitig zur letzten Führung. Gemeinsam mit ein paar argentinischen Touristen aus Mendoza (dem Konkurrenz-Weinanbaugebiet) traben wir übers Gelände und bekommen einen Einblick in die Anlage. Auf 300 Hektar Land wird Wein angebaut, 2.700 bis 3.000 Weinstöcke pro Hektor produzieren jährlich um die 4 Millionen Liter Wein, erklärt die Dame von der Bodega erst auf Spanisch und dann anschließend extra für uns noch mal auf Englisch. In der Hochsaison von Januar bis März werden die Trauben geerntet, dann arbeiten 140 Leute auf der Bodega. Vom Hochbinden der Reben und dem Pflücken der Trauben mal abgesehen, läuft so ziemlich alles vollautomatisch ab. Ehrfürchtig steht unsere kleine Gruppe vor den Silos, der Presse, den Pumpen, den Kühltanks … Jede Menge Edelstahl. Wo bitte sind denn jetzt die Holzfässer, die dem edlen Getränk das richtige Aroma verleihen? Die lagern bei 18 Grad Lufttemperatur im Kellergewölbe. Bevor wir endgültig zum interessanten Teil der Führung kommen, erklärt uns die Dame von der Bodega noch augenzwinkernd, dass argentinische Weine – anders als zum Beispiel die deutschen – ganz ohne Zusatz von Zucker auskommen. Wir können es gar nicht so recht glauben – wo doch in Argentinien fast überall Zucker beigemischt wird, wo sogar die Kaffeebohnen zusammen mit Zucker geröstet werden und Kakaopulver stark an braunen Zucker erinnert. Aber nein … das Klima, die Höhe und die Sonne – all das verleiht den Trauben genügend Fruchtzucker. Davon wollen wir uns überzeugen. Die Weinverköstigung ist zu unserer Freude – ebenso wie die gesamte Führung – ein Service des Hauses und damit kostenlos. Die Dame von der Bodega ist nicht zimperlich und schenkt die Gläser ordentlich voll. Wir sind auch nicht zimperlich und probieren nacheinander je ein Glas Chardonnay, Malbec, Cabernet Sauvignon, Malbec-Sauvignon, Torrontés und dann zum Vergleich gleich noch einmal einen Malbec und einen Cabernet. Die anderen Gäste haben sich längst verabschiedet, da freut sich die Dame von der Bodega noch immer, dass es uns so gut schmeckt. Wo doch so selten ausländische Besucher in die Bodega kommen … Wir haben mittlerweile beschlossen, noch einen Wein fürs Abendessen mitzunehmen und marschieren zielstrebig rüber in den Laden. Gut gelaunt scherzen wir ein bisschen mit der Verkäuferin, die uns daraufhin fragt, ob sie mit uns zurück in die Stadt fahren könnte. Na, die hat vielleicht ein Vertrauen in die deutsche Trinkfestigkeit …

 

Wir übernachten in einem der kleinen Canyons der Quebrada de las Conchas. Wieder nüchtern, setzen wir unser Kulturprogramm fort und besichtigen die Ruinen von Quilmes. Der Stamm der Quilmes kam im 11. Jahrhundert über die Anden und baute eine Stadt, in der in ihrer Blütezeit etwa 5.000 Menschen lebten. Die Quilmes trotzten den Inkas und konnten auch dem Ansturm der Spanier über mehrere Jahrzehnte standhalten. Im Jahre 1665 unterlagen sie schließlich. Die Überlebenden wurden von den Spaniern nach Buenos Aires verschleppt. Noch heute gibt es in der Hauptstadt ein Stadtviertel, das den Namen »Quilmes« trägt – und die wohl populärste Biermarke des Landes heißt ebenfalls so.

 

Danach steht Baden auf dem Programm – auch wenn  die Thermalbäder von Hualfin nicht ganz unserer Vorstellung entsprechen. Wir hatten ein Becken mit heißem Wasser und schönem Panoramablick unter freiem Himmel erwartet und stehen zuerst etwas ratlos vor den Badehäuschen mit privatem Badebecken hinter verschlossener Tür. Ein Schild verbietet den Gebrauch von »Seife« - doch damit sei lediglich Waschmittel zum Waschen der Wäsche gemeint, klärt uns die Bademeisterin auf. Wäschewaschen im Thermalbad …? Uns wundert so etwas schon lange nicht mehr.

 

Weiter geht es auf der Ruta 40 nach Süden. In Belén wollen wir tanken – und sehen gerade noch rechtzeitig den gelben Aufkleber an der Zapfsäule, der darauf hinweist, dass laut Gesetz Fahrer von Fahrzeugen mit ausländischem Kennzeichen in grenznahen Gebieten – wir sind immerhin fast 100 Kilometer von der Grenze entfernt – 33% mehr für den Kraftstoff bezahlen müssen als die Argentinier. Andere Reisende hatten uns schon vor dieser »Spritfalle« gewarnt. Diskussion zwecklos. Wir haben noch ausreichend Diesel im Tank, um der Tankstelle gelassen den Rücken zu kehren. In San Blas de los Sauces, nur wenige Kilometer weiter, tanken wir zum gleichen Preis wie alle.

 

Neben der Spritfalle gibt es noch eine weitere Falle, in die man als Reisender leicht tappen kann: die so genannten Fitosanitarios, die Fruchtkontrollen. Sie befinden sich an den Departementsgrenzen – nicht zu verwechseln mit den Provinzgrenzen – und verbieten die Einfuhr von Obst und Gemüse ins jeweilige Departement. In San Blas de Sauces treffen wir auf den ersten derartigen Kontrollposten. Die üblichen Fragen. Die üblichen Antworten. Der Beamte wirft einen Blick ins Auto und winkt uns durch. Die nächste Fruchtkontrolle passieren wir nach 18 Uhr – scheinbar nach Dienstschluss, denn der Beamte lehnt leger gekleidet in der Tür seines Wohnanhängers und winkt uns freundlich durch. Und er tut gut daran, denn die Suche nach Lebensmitteln wäre ein abendfüllendes Programm geworden: Die Äpfel stecken im Schlafsack, die Kartoffeln in der Dachbox, der Salat ist hinter meinem Sitz verkeilt …In der Kühlbox fristet der Wein ein einsames Dasein. Aber wenigstens ist er wohltemperiert.

 

»Chilecito – das kleine Chile« hieß ursprünglich mal Santa Rita. Weil aber so viele Arbeiter aus Chile über die Anden kamen, um hier in den Minen zu arbeiten, tauften die Einwohner den Ort kurzerhand um. Die Minen befinden sich so hoch oben in den Bergen, dass ein Auswaschen des abgebauten Gesteins aus Wassermangel nicht möglich war. Im Klartext heißt das, dass das gesamte Gestein ins Tal transportiert werden musste. Zuerst erledigten Maultiere diesen Job. Doch dann baute man Anfang der 20er-Jahre mit europäischer und amerikanischer Unterstützung eine Drahtseilbahn. Leider ist dieses kleine Wunderwerk der Technik – die Pläne hierfür stammten aus Deutschland – seit 1926 nicht mehr in Betrieb. Es kann aber noch besichtigt werden. Die Stationen Nummer 1 und Nummer 2 sind relativ leicht zugänglich, aber spätestens ab Station Nummer 4 geht es nur noch zu Fuß weiter. Die Station Nummer 9, die letzte Station, liegt auf 4.600 Meter Höhe. Die Seilbahn musste also, aus Chilecito kommend, auf einer Länge von 35 Kilometern einen Höhenunterschied von 3.500 Metern überwinden. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 9 km/h dauerte eine einfache Fahrt also etwa 4 Stunden. Tobias ist in seinem Element. Geduldig und anschaulich erklärt er mir an den Stationen 1 und 2, wie eine Drahtseilbahn funktioniert. Mit leuchtenden Augen redet er von Greifarmen und Tragseilen und bringt es schließlich mit einfachen Worten auf den Punkt: Die Drahtseilbahn von Chilecito funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie ein Skilift. Gut, dass wir das geklärt hätten …

 

Ich glaube, wir hatten es schon erwähnt: In Argentinien ist gerade Winter – und aus diesem Grund sind viele Berge nicht begehbar, viele Nationalparks haben Winterpause und viele Andenpässe sind wegen zu viel Schnee geschlossen. Auch der Paso Agua Negra ist zu. Wir beschwatzen den Polizeiposten am Schlagbaum so lange, bis wir durch dürfen. »Die wollen Schnee sehen«, sagt der eine Polizist zum anderen. Nein, nicht nur sehen wollen wir den Schnee, auch anfassen wollen wir ihn.

 

Die argentinische Nationalheldin heißt … nicht etwa Eva Perón, sondern »Difunta Correa – die verstorbene Frau Correa«. Noch nie von ihr gehört? Wer durch Argentinien fährt, kommt unausweichlich mit ihr in Kontakt – oder besser mit den Schreinen am Straßenrand, die ihr zu Ehren errichtet worden sind. Doch der Reihe nach: 1814 begibt sich María Antonia Deolinda Correa mit ihrem Baby auf die Suche nach ihrem im Bürgerkrieg verschollen Ehemann. Sie verläuft sich in der Wüste und verdurstet. Als man ihren Leichnam findet, ist der Säugling an ihrer Brust noch am Leben. Und da das der Stoff ist, aus dem argentinische Heldengeschichten sind, hat man an Ort und Stelle eine Kapelle errichtet, die heute der wichtigste Wallfahrtsort des Landes ist. Mittlerweile stehen auf dem Gelände mehr als zehn Kapellen, alle randvoll mit Opfergaben – vom Brautkleid übers Nummernschild bis zum echten Oldtimer-Auto ist hier alles vertreten und in den einzelnen Kapellen thematisch geordnet. Die wichtigste Gabe für jemanden, der durch die Wüste irrt, ist jedoch nach wie vor das Wasser – und so findet sich am Wallfahrtsort nicht nur ein Brunnen, in den man Wasser gießen kann, auch die Schreine entlang der Landstraßen sind voll mit

Wasserflaschen. Wir machen noch Witze darüber, dass wir Difunta Correa am Ende unserer Reise ja vielleicht eines unserer Nummernschilder stiften könnten – doch vielleicht hätten wir besser gleich was spenden sollen.

 

Kurz hinter San Juan passiert’s: Der Landy verschluckt sich, hustet ein paar Mal, dann bleibt er stehen und springt nicht wieder an. Unser erster Gedanke: Kein Sprit mehr. Doch die Tankanzeige steht auf halb. Unser zweiter Gedanke: Dieselpumpe kaputt. Natürlich ist es bereits dunkel. Natürlich hängen wir mitten am Berg. Natürlich gibt es weit und breit keine Ausweichstelle, zu der wir den Landy schieben könnten. Und natürlich haben wir ausgerechnet hier und jetzt kein Handynetz, so dass wir nicht einmal einen Abschleppdienst rufen können. Also versuchen wir, ein Fahrzeug anzuhalten – was sich als ungefähr genauso schwierig wie in Deutschland herausstellt. Schließlich erbarmt sich ein älteres Ehepaar im Pickup – und schleppt uns die kurvenreiche und steile Straße in die Stadt zurück. Am Straßenrand in einer ziemlich schäbigen Gegend von San Juan können wir das argentinische Nachtleben mal so richtig miterleben. Bis 2 Uhr nachts herrscht Jubel, Trubel, Heiterkeit. Um 5 Uhr machen sich die ersten bereits wieder auf den Weg in die Arbeit. Tobias ruft in Deutschland an. Peter von Nakatanenga ist seit Beginn unserer Reise jederzeit per Handy für uns erreichbar. »Bau die Dieselpumpe aus, spül sie mit Benzin und lass sie rückwärts laufen«, lautet sein Rat. Zum Glück haben wir auf ihn gehört und eine externe Dieselpumpe eingebaut, so dass der Ausbau eine Sache von wenigen Minuten ist. Die Dieselpumpe funktioniert einwandfrei. Auch der Dieselfilter und der Dieselpumpenfilter sind weder kaputt noch verdreckt. Tobias prüft den Kraftstoffrücklauf. Auch hier alles ok. Wir sind mit unserem Latein am Ende. Mittlerweile hat sich vor der Tür des Telefonladens nebenan eine Traube Schaulustiger gebildet. »Seid ihr wirklich aus Fürth?« – Als Albert uns anspricht, ist das wie ein Geschenk des Himmels. Er kommt aus Deutschland und lebt mit seiner Familie seit sieben Jahren in Argentinien. Kurzerhand schleppt er uns ab, zu sich nach Hause. Seine Frau Deborá, die ihn eigentlich losgeschickt, um die Kinder von der Schule abzuholen, staunt nicht schlecht, als plötzlich zwei Gringos in der Tür stehen. Doch bei vier Kindern kommt es dann auf zwei Personen mehr oder weniger auch nicht mehr an – und so werden wir wie alte Freunde in den Kreis der Familie aufgenommen. Nach dem Mittagessen schleppt Albert den Landy durch die halbe Stadt zu einer Werkstatt. Doch dort ist man ausgelastet und empfiehlt uns eine andere Werkstatt. Dort wiederum schüttelt man bedauernd den Kopf, mit Direkteinspritzer-Dieselmotoren kennt sich in der ganzen Stadt nur einer aus: Diesel Rodriguez. Auf dem Hof der drei Rodriguez-Brüder stehen schon etliche PKWs, LKWs und Baufahrzeuge – Arbeit für mindestens fünf Tage. Kein Problem, sagt der Chef, wir könnten auf dem Hof übernachten, Küche und Bad mitbenutzen. Da er sich frühestens am nächsten Morgen um uns kümmern kann, landen wir also wenig später wieder bei Albert und Deborá. Am nächsten Morgen um 9 Uhr sind wir in der Werkstatt. Um 11.30 Uhr geht es los. Der Scanner wird angeschlossen, doch er will partout keine Daten ausspucken. Während also die Mechaniker versuchen, den Scanner zum Laufen zu bringen, kümmert sich der Chef persönlich um unseren Landy. Zusammen mit Tobias und unserem mitgenrachten Werkstatt-Handbuch baut er den Kühler des Kraftstoffrücklaufs aus und prüft, ob Kraftstoff durchläuft. Alles ok. Er baut den Kraftstoffdruckregler aus. Auch in Ordnung. Dann baut er den Turbo aus. Der Rotor dreht sich. Er legt die Elektrik des Kraftstoffunterbrechers lahm. Auch hier ist kein Defekt festzustellen. Nach jedem Aus- und Wiedereinbau versucht Tobias, den Landy zu starten. Ich sitze derweil auf der Wiese unterm Baum und lese ein Buch. Als ich das unverkennbare Motorengeräusch unseres Landy vernehme, springe ich sofort auf. Er läuft wieder – aber keiner weiß so recht, warum eigentlich. Man vermutet, dass Luft im Kraftstoffsystem die Wurzel allen Übels war. Als wir bezahlen wollen, winkt man ab: Es wurde ja nichts repariert, sondern nur nachgesehen, und das wiederum sei ein Service des Hauses. Wir sind sprachlos. (Muchas gracias, Diesel Rodriguez, por su ayuda!)

 

Alles in allem betrachtet, hatten wir mit dieser Autopanne wirklich Glück im Unglück: Nicht auszudenken, wenn wir irgendwo mitten in den Bergen, fernab von jeder menschlichen Ansiedelung stehen geblieben wären … So aber haben wir durch unsere Panne eine schrecklich nette Familie kennen gelernt und neue Freunde gewonnen. (Vielen Dank, Deborá und Albert, für eure Hilfe und eure Gastfreundschaft – und Grüße an die vier Kiddies.)

 

Ursprünglich hatten wir vor, von San Juan aus direkt nach Mendoza zu fahren, um dort ein paar Dinge am Landy richten zu lassen. Doch wir haben keine Lust, gleich schon wieder die nächste Werkstatt aufzusuchen – und so machen wir uns auf den Weg in den Nationalpark El Leoncito.Im Park treffen wir die beiden Argentinier Guido und Cecilia, die mit ihrem Bus auf Urlaubsreise sind. Guido spricht perfekt deutsch, kennt Argentinien wie seine Westentasche – keine Frage, dass wir uns gern ein paar Tipps von ihm geben lassen, welche Orte einen Besuch lohnen und welche nicht. El Leoncito ist ein astronomischer Komplex mit zwei Observatorien inmitten einer fantastischen Landschaft der Anden-Vorkordillere. Aus Kolumbien wissen wir bereits, dass sich der Himmel über der Wüste besonders gut für die Sternbeobachtung eignet, weil hier die Luft sehr trocken ist, das Licht der Sterne also nicht durch Feuchtigkeit getrübt oder gestreut wird. Außerdem ist der Himmel über El Leoncito fast immer wolkenfrei und es ist windstill – so dass in etwa 300 Nächten im Jahr ein Observieren des Sternenhimmels möglich ist. Das Observatorium Casleo fängt mit einem Spiegelteleskop das Licht der Sterne ein, analysiert es auf seine chemische Zusammensetzung und zieht Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der jeweiligen Galaxien. Die Astrophysiker schauen dabei nur noch selten selbst durchs Teleskop, als vielmehr auf einen Computermonitor, denn alle gesammelten Daten werden erst im Computer gespeichert und anschließend dann ausgewertet. Das zweite Observatorium, Cesco, beschäftigt sich mit Astrometrie, d. h. der Bestimmung der Position der Himmelskörper. Mit Hilfe von 5 Teleskopen – zwei davon stammen aus Deutschland – beobachten die Astronomen die Bewegung von Asteroiden, Meteoriten und Kometen sowie die Ausdehnung des Universums, um wiederum Rückschlüsse zu ziehen, wann sich der Urknall wiederholt. Es lässt sich nicht leugnen: Hier herrscht ein bisschen Endzeitstimmung. Wir erfahren zum Beispiel, dass in drei Milliarden Jahren die Sonne erlischt, dass unser Sonnensystem in ferner Zukunft mit dem Andromeda-Nebel kollidiert und dass am 7. August 2027 ein Asteroid die Erde trifft. Weitere Asteroiden folgen 2028, 2030 und 2039. Der Wissenschaftler, der uns durch den Komplex führt, lächelt verlegen, als ich nach Evakuierungsplänen und  Notfallprogrammen frage. Man weiß, wie groß und wie schnell diese Asteroiden sind – aber wo genau sie auf die Erde treffen, kann man erst ein paar Jahre vor dem Einschlag exakt berechnen. Und dann lässt sich auch erst das Ausmaß der Katastrophe vorhersagen. Nur etwa 10% aller Asteroiden folgen überhaupt einer Umlaufbahn. Die restlichen 90% schwirren kreuz und quer durchs All, eine exakte Kursbestimmung ist nicht möglich. Und so kann vor 2027 noch vieles passieren, versucht uns der Wissenschaftler zu trösten und schenkt uns zur Aufmunterung ein Bild des Halleyschen Kometen.

 

Eigentlich wollten wir auf dem ausgetrockneten See »Barreal Blanco« ein bisschen den Wind-Car-Fahrern zusehen, die sich hier normalerweise auf der glatten Lehmfläche austoben. Am Ufer stehen schon etliche Autos, darunter auch der Bus von Guido und Cecilia. Als wir merken, dass es sich bei der Menschenansammlung auf dem See nicht um Fans und Zuschauer handelt, sondern um Teilnehmer an einem schamanistischen Ritual des Stamms der Huarpe, sind wir auch schon mittendrin. Zwei Schamaninnen, beide in weiße Gewänder gekleidet, barfuß, die schwarzen bzw. roten Haaren mit einem Stirnband in Zaum gehalten, führen ein Initiationsritual durch. Zwei junge Männer werden in den Kreis der Schamanen aufgenommen und sollen ihnen ab sofort als Gehilfen dienen. Gleichzeitig findet eine Zeremonie zu Ehren der Mutter Erde, der Pachamama, statt. Es wird anders als in früheren Zeiten nicht um Regen oder eine gute Ernte gebeten, sondern um einen Rückgang der Umweltverschmutzung. Alte Traditionen gepaart mit modernen Themen. Einer der beiden jungen Männer beginnt zu trommeln. Einige der Teilnehmer haben ebenfalls Musikinstrumente dabei, Regenstöcke, Tambourins, Rasseln usw., und stimmen mit ein. Die anderen klatschen im Takt. Dann wird geopfert. Die Männer werfen Tabak ins Feuer, die Frauen Mate-Tee. Auch wir bekommen Opfergaben in die Hand gedrückt. La casa grande, das große Haus, ist schließlich unser aller Zuhause. Dann greifen die beiden Schamaninnen zur

Flasche und spucken Wein auf die Erde. Großes Finale. Das Feuer ist aus, der Kreis löst sich allmählich wieder auf. Zwei Stunden hat die Zeremonie gedauert. Man kann den Schamaninnen nur wünschen, dass diese und ähnliche Aktionen das Bewusstsein der Argentinier für ihre Umwelt ein bisschen schärfen. Denn Umweltverschmutzung ist tatsächlich ein Thema in diesem Land. Nicht nur, dass die Minen in den Bergen das Grundwasser verseuchen, auch die Argentinier selbst lassen ihren Müll einfach überall dort fallen, wo sie gerade stehen und gehen.

 

Wenig später, wir sind noch immer in der Wüste, das Thermometer zeigt 37 Grad über Null, kommen uns die ersten Autos mit Skiern auf dem Dach entgegen. Wir nähern uns Uspallata, einem Ferienort. In Penitentes, dem dazugehörigen Skiort, ist noch bis zum 10. September Saison. Doch erst die Arbeit, dann das Vergnügen. In Mendoza lassen wir in einer 4x4-Werkstatt die Buchsen, also die Gummilager zwischen Rahmen und Karosserie, austauschen. Das wollten wir schon lange machen lassen, damit der Landy nicht mehr so stark schwankt und wieder stabiler auf der Straße liegt. Mendoza selbst, bekannt als das Weinanbaugebiet Argentiniens, liegt unter einer dicken, gelben Abgas-Glocke. Die Weinstöcke stehen genau neben der Autobahn. Ob das das Geheimnis aromatischen Weins ist …? Wir verzichten sowohl auf eine Weinprobe als auch auf eine Stadtbesichtigung und fahren so schnell wie möglich zurück nach Uspallata und weiter nach Penitentes. So ein Skitag wäre doch mal wieder eine feine Sache. Doch es soll nicht sein. Der zweite Skilift – und damit auch alle darüber liegenden – ist nicht in Betrieb. Morgen auch nicht, sagt man uns am Ticketschalter. Vielleicht übermorgen wieder. Mit nur einem Skilift reduziert sich der Skispaß von 28 Pisten auf 2, nämlich die beiden unteren, links und rechts des Lifts, auf denen noch dazu schon braune Flecken durchschimmern. Hmmm … das hatten wir uns anders vorgestellt. Also verschieben wir das Skifahren. Das nächste chilenische Skigebiet liegt schließlich nur 60 km von hier entfernt.

 

Kurz vor der Grenze liegt der Nationalpark Aconcagua – und natürlich lassen wir es uns nicht nehmen, ein Stück durch den Schnee zu wandern und einen Blick auf den tief verschneiten höchsten Berg Amerikas zu werfen. Der Nordgipfel ist 6959 m hoch, der Südgipfel 6930 m. Zusammen mit den 5000ern, die ihn umgeben, wird das Gebiet auch das »Dach Amerikas« genannt. Tobias macht schon wieder Pläne, wie, wo und wann – und vor allem mit wem – er die 20-tägige Besteigung des Aconcagua in Angriff könnte. Und während wir alle paar Schritte auf dem weichen Schnee bis zum Knie einsinken, uns kalte Beine und nasse Füsse holen, träumt er davon, wie schön es jetzt wäre, mit Schneeschuhen über diese weiße Decke zu stapfen. Mir für meinen Teil wäre ein Kaminfeuer jetzt ganz Recht, an dem ich meine nassen Socken trocknen könnte. Tja, so unterschiedlich ist die Gefühlswelt der Geschlechter.


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