Route: Arica – Putre – Nationalpark Lauca: Parinacota – Laguna Cotacotani – Lago Chungará – Reserva Nacional de las vicunas: Guallatiri – Salar Surire – Polloquere – Nationalpark Isluga: Isluga – Puchuldiza – Cerro Unita – Pozo al Monte – Iquique – Colchane
Obwohl die Kreuzung frei ist, stoppen die Autos an der roten Ampel. Niemand hupt als das Licht auf Grün umschaltet. Niemand hält mit Vollgas auf einen Fußgänger zu, der noch dabei ist, die Fahrbahn zu queren. Am Strand parken die Fahrzeuge nicht Außenspiegel an Außenspiegel. Und es ist auch keine Musik zu hören. Des Rätsels Lösung: Wir sind in Chile.
Die Einreise nach Chile ist unproblematisch. An der Grenze, am Schalter Nr. 1 stempelt uns der Beamte eine Aufenthaltsdauer von 90 Tagen in den Pass und schickt uns zur Agrarkontrolle. Wir drücken dem Agrar-Beauftragten eine Banane in die Hand. Der Trick funktioniert. Unsere gut gefüllte Kühlbox wird keines Blickes gewürdigt. Am Schalter Nr. 2 erhält auch unser Landy die Erlaubnis, 90 Tage in Chile zu weilen. Am Schalter Nr. 3 schließlich soll das Gepäck durchleuchtet werden. Jetzt wird uns auch langsam klar, weshalb alle anderen ihre Fahrzeuge komplett ausräumen und mit geöffnetem Kofferraum durch die Schranke fahren. Haben wir Gepäck? Egal, schließlich haben wir alle Stempel, die wir brauchen. Also geben wir Gas – und sind in Chile. Nein, viel besser: Wir sind im Paradies. Nicht nur, dass es in Arica einen Baumarkt (Sodimac) gibt, der Kocherbenzin führt (Bencina Blanca) oder wir im Supermarkt-Regal neben dem 1,5-Liter-Tetrapak Wein (Clos in verschiedenen Sorten) auch fertig gemischten Pisco Sour in der Flasche, italienische Salami und Vollkornbrötchen finden – endlich können wir uns wieder mitten in die Landschaft stellen, unsere Campingstühle auspacken und das Panorama genießen. Kein Zaun, der den Weg versperrt. Keine Kinder, die am Auto kleben. Keine Menschen, die uns Souvenirs verkaufen wollen. Einfach nur Natur pur. Und wir mittendrin. Ein schönes Gefühl.
Die Geoglyphen zeigen uns den Weg. Die auf den Berghängen dargestellten Menschen blicken in Richtung Lluta-Tal. Wer weiß, vielleicht haben sie bereits vor 1500 Jahren als Wegweiser gedient – für Menschen, die wie wir aus Peru kamen und in den Lauca-Nationalpark wollten. Der Lauca-Nationalpark liegt zwischen 3000 und 6300 Meter hoch und wartet bereits kurz nach der Nationalparkgrenze mit einem atemberaubenden Ausblick auf. Scharf zeichnen sich die beiden schneebedeckten Gipfel des Vulkans Parinacota und des Pomerape vor dem tiefblauen Himmel ab. Davor, auf den Steppen grasen Vicuna-Herden. Der Lago Chungará am Fuße des Parinacota ist der höchstgelegene See der Welt (4600 m). In diesen Höhen sind die Nächte bitterkalt. Das Thermometer fällt auf -5°C. Im Auto ist es auch nicht wesentlich wärmer. Eisblumen verzieren unsere Scheiben. Von innen, versteht sich. Aufstehen, Anziehen, Kaffeekochen, Zähneputzen … bei solchen Temperaturen geht alles ein bisschen langsamer als gewöhnlich. Auch unser Landy braucht drei Anläufe bis er in Schwung kommt.
Im Reserva de las vicuñas – links von uns stößt der noch aktive Vulkan Capurata kleine Rauchwolken aus – quert plötzlich und unvermittelt ein Puma vor uns die Straße. Zwei Sprünge – weg ist er wieder. Wir hatten im Prospekt gelesen, dass es hier Pumas geben soll, aber nie im Leben damit gerechnet, tatsächlich einen zu sehen. Die rosarot gefärbten Flamingos mit den gelben Flecken auf den Schnäbeln, die im Salzwasser des Salars Surire nach Nahrung suchen, geben sich jede Mühe, dieses eindrucksvolle Erlebnis zu toppen. Aber sie schaffen es nicht wirklich. Auch der Salzsee ist zwar nett – aber eben
nur ein Vorgeschmack auf das was uns in Bolivien erwartet. Die heißen Quellen von Polloquere, am Südufer des Salars, dagegen, sind ein echtes Highlight. Wir genießen das Bad im 50°C heißen Schwefelwasser – und ignorieren, dass wir nach dem Baden riechen, als wären wir soeben der Hölle entstiegen.
Auf dem Weg in den Nationalpark Isluga queren wir zunächst die Furt von Mucomucone, lassen uns auf einer Waschbrettpiste gut durchschütteln und fahren dann durch eine Landschaft, die eine gute Kulisse für einen Westernfilm abgeben würde: riesige Felsbrocken, dazwischen ein paar niedrige Büsche, verlassene Ortschaften am Wegesrand und hin und wieder das von der Sonne ausgebleichte Skelett eines Lamas. Nur selten treffen wir auf Menschen. Die meisten der Aymara, die dieses Gebiet einst besiedelten, sind längst abgewandert und besuchen ihre Dörfer und Friedhöfe nur noch an Feiertagen. Für Reisende wie uns heißt das auch: Keine Möglichkeit, Lebensmittel, Trinkwasser oder Benzin zu kaufen. Die nächsten Tankstellen sind in Arica, Pozo al Monte oder in Pisiga. Letzteres bereits auf bolivianischem Gebiet. Wir haben vorgesorgt und unseren Reservekanister gefüllt – und können beruhigt noch einen Abstecher zu den Geysiren von Puchuldiza machen, bevor wir weiter zum Cerro Unito fahren.
Im Geysirfeld von Puchuldiza dampft, qualmt und sprudelt es an allen Ecken und Enden aus dem Boden. Einige der Geysire sind eingezäunt, damit man ihnen nicht zu nahe kommt. Alle anderen sind frei zugänglich. Am Hang mit Blick auf das Tal gibt es ein gemauertes Badebecken – genau das richtige, um den Staub abzuwaschen. Einmal untertauchen, sauber. Leider funktioniert das nicht beim Landy. Der feine Sand der Pisten dringt selbst durch die kleinste Ritze – und Ritzen gibt es ja beim Defender bekanntlich viele. Und so ist jeden Abend erst einmal Autoputzen angesagt, bevor es zum gemütlichen Teil übergeht.
Der Cerro Unito ist, wie der Name schon sagt, ein einzelner Sandhügel mitten in der Wüste. Niemals hätten wir einen Umweg von 180 Kilometern allein eines Sandhügels wegen gemacht – gäbe es da nicht auf der einen Seite des Hügels eine Geoglyphe der besonderen Art. Der Gigante de Atacama ist 68 Meter hoch und damit die größte menschliche Darstellung im Sand. Wieso, weshalb, warum? Niemand weiß es.
Wie es der Zufall so will, treffen wir exakt an der Abzweigung zum Cerro Unito auf einen anderen Landrover Defender. Wir halten an, tauschen Infos aus – und erfahren mit Staunen von den beiden Engländern, dass sie nicht nach Bolivien einreisen durften, weil ihr Landy das Lenkrad auf der rechten Seite hat. Angeblich eine neue Verordnung. Nun, unser Landy hat das Lenkrad links – der Einreise nach Bolivien dürfte somit nichts im Wege stehen. Frohen Mutes machen wir uns auf den Weg zur Grenze.
In Colchane, dem verschlafenen Grenzort auf chilenischer Seite, wird unser Pass abgestempelt, die Aufenthaltsgenehmigung für unseren Landy eingezogen und unser Auto registriert. Tschüs Chile. Hola Bolivia. Doch so schnell geht das nicht, denn an der bolivianischen Grenze ist Stau. Die Beamten haben Mittagspause. Na dann: Guten Appetit.