Route: Bahia Azul – Rio Grande – Tolhuin – Lago Fagnano – Laguna Margarita – Ushuaia – Nationalpark Tierra del Fuego
Zum zweiten Mal auf unserer Reise setzen wir mit der Fähre nach Feuerland über. Dieses Mal mit funktionierender Handbremse, so dass wir das Auto getrost allein auf Deck lassen und während der 20-minütigen Überfahrt die Aussicht auf die Magellanstraße genießen können. Und ebenfalls zum zweiten Mal auf unserer Reise kommen wir durch Rio Grande. Rio Grande hat – auch wenn sich die Touristeninformation redlich Mühe gibt – nicht allzu viel zu bieten an touristischen Attraktionen. Dafür findet man als Autoreisender hier alles, was man braucht: eine schnelle und günstige Selbstbedienungs-Wäscherei, schnelles W-Lan sowie eine heiße und kostenlose Dusche an der YPF-Tankstelle im Zentrum.
Es ist Wochenende als wir am Lago Fagnano entlang fahren und an den Ufern herrscht Hochbetrieb. Auch an der Laguna Bombilla und der Laguna Margarita werden Lagerfeuer geschürt und Zelte aufgeschlagen. Angler und Fliegenfischer stehen bis zur Hüfte im eiskalten Wasser. Musik dröhnt aus den Autolautsprechern. Tobias sammelt Feuerholz und baut einen Steinofen um Plätzchen zu backen. Es ist schließlich Sonntag, der erste Advent.
Kurz vor Ushuaia biegen wir ab und fahren auf der J-Straße – im argentinischen Teil Feuerlands haben die kleinen Straßen keine Namen, sondern werden einfach mit Buchstaben bezeichnet, von A bis J – in den Wald der Estancia Harberton. Die älteste Estancia in diesem Teil Feuerlands wurde 1886 von dem Missionar Thomas Bridges gegründet. Sie diente von jeher als Refugio für die Ureinwohner, für Seefahrer und Wissenschaftler. Heute wird sie von Nachfahren des Missionars bewirtschaftet. Wir verbringen den Tag auf einem der ausgewiesenen kostenlosen Campingplätze mit Blick auf den Beagle-Kanal und beobachten die Segelschiffe, die im Wind kreuzen. Über uns kreischen die Seevögel. Ein Specht-Pärchen bearbeitet unermüdlich den Baum, unter dem wir geparkt haben. Und im Fluss nebenan entsteht gerade ein neuer Biberdamm. Ein Fuchs kommt vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Und Kühe schauen von außen durch unser Fenster.
Bei unserem letzten Besuch in Ushuaia, der nun fast auf den Tag genau vier Jahre zurück liegt, nannte sich Ushuaia noch schlicht und einfach „südlichste Stadt der Welt“. Damals war das chilenische Puerto Williams, auf der Isla Navarino gelegen und damit eindeutig südlicher, noch ein Militärstützpunkt mit angrenzenden Wohnhäusern. Mittlerweile ist jedoch auch Puerto Williams längst über den Status einer Militärbasis hinaus gewachsen, besitzt sogar Hostels und zieht Touristen an. Damit ein Konflikt erst gar nicht erst entsteht, nennt sich
Ushuaia jetzt südlichste „City“ der Welt, wohingegen Puerto Williams den Titel südlichste „Town“ der Welt für sich beansprucht. Als die ersten Europäer den Archipel am Ende der Welt entdeckten und ihm den Namen Feuerland gaben, interessierte sich zunächst niemand für das Land oder seine Bewohner. Dabei war Feuerland bereits seit über 30.000 Jahren bewohnt – von den Selk’nam, die man später Ona nannte, von den Yámana, die man in Yagan umtaufte, von den Kawéskar, die Alakaluf genannt wurden, und von den Manekeuk, die gemeinhin als Haush bekannt sind. Die Spanier sahen zwar den Rauch von Feuern, gingen aber nicht an Land. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts zeigten die Europäer Interesse an den Ureinwohnern Feuerlands – und fügten mit dem was dann geschah dem Kapitel der Menschheitsgeschichte ein ziemliches trauriges Kapitel hinzu. Im Jahre 1830 ließ Kapitän Robert Fitz Roy vier der Ureinwohner auf sein Schiff, die „Beagle“ bringen und verschleppte sie nach Europa, um sie dort zu „zivilisieren“ bzw. um sie auf Jahrmärkten zur Schau zu stellen. 1860 begann die Besiedelung Feuerlands durch die Europäer. 1910 lebten von den ehemals mehreren tausend Ureinwohnern nur noch etwas mehr als 300 auf der Insel. In nur 50 Jahren hatten es die Weißen geschafft, die ursprünglichen Bewohner Feuerlands praktisch auszurotten. Als Ende der 1990er Jahre schließlich die letzte Nachfahrin der Selk’nam starb, starb mit ihr ein ganzes Volk, eine Sprache und eine Tradition. Heute erinnern nur noch halb verblichene Fotografien in den Museen Ushuaias an die einstigen Bewohner Feuerlands.
Ushuaia selbst ist nicht wirklich als attraktiv zu bezeichnen. Die Stadt war ursprünglich eine Gefängnisstadt – 1902 waren besonders „schwierige“ Häftlinge hierher überführt worden. Das Gefängnis am Ende der Welt, das Presidio wurde 1947 geschlossen und ist nun militärisches Gelände. Ein Teil davon wurde in ein Museum umgewandelt. Vom Bahnhof am Ende der Welt startet mehrmals täglich eine Schmalspurbahn zu ihrer Fahrt in den Nationalpark Tierra del Fuego. Einst hat diese Bahn die Häftlinge zum Bäume-Fällen in den Wald transportiert. Dort wo einst die Yámana lebten, erstreckt sich heute der Nationalpark Tierra del Fuego. Dichte Wälder, undurchdringliches Grün, dazwischen silber-graue abgestorbene Bäume inmitten von Flüssen und überschwemmten Wiesen. Die Landschaft ist erstaunlich abwechslungsreich: Meeresbuchten, Klippen, Strände, Seen und Flüsse, Moore, Berge, Gletscher, Wiesen, Wälder … Wir haben Glück und erwischen tatsächlich einen der raren Sonnentage ohne einen einzigen Regentropfen. Doch schon einen Tag später fallen dicke Schneeflocken vom Himmel. Schnee und Eis … das ist genau das, was wir jetzt wollen. Doch dazu mehr im nächsten Bericht.