Reisebericht 09 vom 19.07.06 – 04.08.06: Baja California und der Kupfercanyon


Route: Baja California: Mexicali – San Felipe – Puertecitos – Guerrero Negro – Mulege – Loreto – Agua Verde – La Paz – Festland: Topolabambo – Los Mochis – Choix – La Reforma – Metate – Sreneguita – Urique – Ceracahui – Bahuichivo – San Rafael – Creel 


 Die meisten Reisenden überqueren die Grenze zwischen USA und Mexiko bei Tijuana. Eine mehrspurige Autobahn führt – ohne große Grenzformalitäten – direkt von San Diego in die Baja California. Genau aus diesem Grund entscheiden wir uns für den viel kleineren Grenzübergang bei Calexico / Mexicali – schließlich haben wir an der Grenze noch ein paar Dinge zu erledigen. Zuallererst müssen wir unsere US-Touristenkarte abgeben. Zu diesem Zweck marschieren wir in Calexico in die US-Immigrationsbehörde und drücken sie dort einem Zollbeamten in die Hand. Der weiß zwar nicht so recht, was er damit tun soll, nimmt sie aber am Ende widerwillig doch entgegen. Somit sind wir also offiziell aus Amerika ausgereist. Wir gehen ein paar Häuschen weiter zu den mexikanischen Behörden. Problemlos stellt man uns hier eine Touristenkarte für die maximale Dauer von 180 Tagen aus. Die Touristenkarte kostet 20 US-Dollar pro Person und kann gleich auf der Bank nebenan bezahlt werden. Danach beantragen wir im Auto-Import-Büro eine temporäre Importbescheinigung für unseren Landy. Diese Bescheinigung kann nur für den Fahrzeughalter ausgestellt werden. Benötigt hierfür wird der Fahrzeugschein sowie Kopien des Scheins, des Passes und der Touristenkarte (Copyshop gleich nebenan). Neben einer Gebühr von ca. 30 US-Dollar muss noch eine Bankbürgschaft bzw. Kreditkartennummer des Fahrzeugshalters hinterlegt werden. Im Falle, dass das Fahrzeug nicht mehr aus Mexiko ausgeführt wird, würde der Zoll die Einfuhrsteuer von ca. 400 US-Dollar abbuchen. Trotz unserer mehr als mangelhaften spanischen Sprachkenntnisse sind die mexikanischen Beamten überaus freundlich und hilfsbereit. Nach ungefähr einer halben Stunde haben wir alle Formalitäten erledigt und rollen mit unserem Landy über die Grenze nach Mexiko.

 

Die Baja California, also „Nieder-Californien“, empfängt uns mit 55 Grad schwüler Hitze. Stundenlang fahren wir auf der Mex 5 durch eine karge Wüstenlandschaft. Um uns herum nur verbrannte Erde, verdörrte Büsche und Sträucher, hin und wieder ein paar Kakteen. San Felipe, den nordamerikanischen Touristenort, durchqueren wir so schnell wie möglich, um dahinter an der Küste ein Nachtquartier zu suchen. Trailerparks für die Mobile Homes der amerikanischen Touristen gibt es in Hülle und Fülle. Wir steuern einen Campground an und fragen nach dem Preis. Doch 30 US-Dollar für einen Platz im Sand, weit weg vom Meer, ohne jede Infrastruktur sind uns entschieden zu hoch. Nachdem der „Türsteher“ nicht mit sich handeln lässt, drehen wir wieder um und übernachten ein paar Meter vor dem Tor des Campingplatzes in der Wildnis.

 

Am nächsten Morgen verlassen wir die asphaltierte Straße und biegen auf die Waschbrettpiste Richtung Puertecitos ab. Puertecitos selbst ist ein ziemlich heruntergekommenes Nest. Wir stocken hier nur unseren Lebensmittelvorrat auf.

 

Die Buchten und Strände entlang der Schotterstrecke könnten fast als schön bezeichnet werden, wären sie nicht durch die Bretterbuden der amerikanischen Dauercamper entstellt. Jetzt außerhalb der Hauptsaison sind die meisten Buden verlassen und stehen leer. Hinzu kommt, dass der gesamte Küstenstreifen einer einzigen Müllkippe gleicht. Neben leeren Flaschen, Tüten und Papier säumen auch alte Kühlschränke, Sofas und Autowracks die Straßen.

 

Als wir nach 140 km die teilweise recht schlechte Piste endlich wieder verlassen und auf die Mex 1 Richtung Guerrero Negro einbiegen, haben wir zwar wieder eine asphaltierte Straße unter den Rädern, der Müll am Seitenstreifen aber begleitet uns weiterhin. Guerrero Negro liegt an der Pazifikküste. Die Luft ist feucht und salzig. Anfang des Jahres kann man hier beobachten, wie die Wale

ihre Jungen zur Welt bringen. Jetzt, im Juli, ist hier so gut wie nichts los. Durch das Hinterland über San Ignacio und Santa Rosalia fahren wir nach Mulegé an die Bahía Concepción. Am Playa Eco Mundo gefällt es uns so gut, dass wir gleich mehrere Tage bleiben. Es ist noch immer heiß und schwül. Auch nachts kühlt es nicht ab. Im Landy steht die Luft. Wir breiten unsere Isomatten in der

strohgedeckten Palapa-Hütte aus und schlafen im Freien. Doch in der dritten Nacht ist an Schlaf nicht zu denken. Ein Gewitter steht direkt über der Hügelkette neben uns. Mehrere Stunden blitzt und donnert es, ohne dass sich das Gewitter vom Fleck bewegt. Dann zieht es über die Hügelkette ins Landesinnere – an uns vorbei. Müde und erleichtert schlafen wir ein – und werden etwa eine Stunde später von Blitz und Donner geweckt. Das Gewitter hat seine Richtung geändert und steht jetzt genau über uns. Wir packen unsere Siebensachen und flüchten ins Auto. Im Sekundentakt schlagen die Blitze links und rechts von uns ein. Der ganze Strand ist taghell erleuchtet. Ungefähr eine halbe Stunde dauert das Unwetter, dann ist der Spuk mit einem Schlag vorbei. Das Gewitter hat sich aufgelöst und wir können wieder in die Palapa umziehen.

 

Wir fahren weiter über Loreto nach Agua Verde. Eine anfangs recht gute Schotterstraße führt hoch hinauf in die Berge, um dann in steilen und engen Serpentinen wieder bis zum Meer hin abzufallen. Von oben sehen die Buchten einfach traumhaft aus. Doch an jedem Strand, den wir anfahren, finden wir riesige Müllberge vor. Wir beschließen, die Nacht am Strand von Aqua Verde zu verbringen und gleich am nächsten Morgen weiter nach La Paz zu fahren.

Als nachts wieder ein Sturm heranzieht, beobachten wir, wie die Familie, die neben uns am Strand wohnt, ihr gesamtes Hab und Gut auf die Ladefläche ihres Pick-ups packt und ein paar Meter vom Strand weg ins Dorf hinein fährt. Am

nächsten Morgen bauen sie alles wieder auf. Die Menschen in Aqua Verde sind arm, hausen unter Zeltplanen oder in Wellblüchhütten. Welch ein Gegensatz dazu die Luxus-Yachten, die in der Bucht davor ankern.

 

Als wir in La Paz ankommen, regnet es so stark, dass alle Straßen unter Wasser stehen. Wir verbringen eine Nacht am Playa Balandra und fahren dann gleich weiter nach La Ventana und in die Bahía de los Muertes, weil wir im Internet gelesen haben, dass es dort traumhafte und einsame Strände geben soll. Die Bahía de los Muertes entpuppt sich als exklusiver Marine-Club, der Strand ist nicht mit dem Auto befahrbar. La Ventana hat zwar kilometerlange Sandstrände, allerdings ist auch hier der Zugang zum Strand fast vollständig verbaut. Außerdem wirkt der Ort wie ausgestorben und den einzigen Campingplatz hat ein Sturm verwüstet. Also wieder zurück nach La Paz. Dort stellen wir uns am Playa Tecolote erst in die Dünen, ziehen dann aber wieder unter eine Palapa – und verbringen noch ein paar erholsame Tage am Meer, ehe wir die Fähre aufs Festland nehmen. Da die Fähre erst abends um 21 Uhr in Tobolabambo auf dem mexikanischen Festland ankommt, übernachten wir im Hafengelände zwischen zwei LKWs. Auch hier ist es heiß und feucht – Zeit, dass wir die Küste verlassen und in die Berge kommen.

 

Wir fahren über Los Mochis und El Fuerte nach Choix. In Los Mochis steigen die meisten Touristen in den berühmten „Chepe“, den Zug, der quer durch das Gebiet, das als Kupfercanyon bezeichnet wird, bis nach Creel fährt. Für uns kommt eine Zugfahrt natürlich nicht in Frage – wir haben ja unseren Landy.

Zudem wollen wir nicht nur von oben in das größte Schluchtensystem Nordamerikas schauen, sondern eintauchen und in die tiefste Schlucht, die Schlucht von Urique, hineinfahren. Nur leider ist auf keiner Karte – auch nicht im großen Straßenatlas „Guja Roja“ - eine Verbindung zwischen Choix und Urique eingezeichnet und auch der Reiseführer schreibt, es gebe keine Straße. Aber es muss eine geben! Wir fragen in Choix auf der Polizeistation – und siehe da: Es gibt tatsächlich einen Weg durch die Berge und der soll – laut Polizei nach einem Blick auf unser Fahrzeug – auch ganz „bueno“ sein. Eine Polizeieskorte bringt uns zum Abzweig und wir biegen wieder einmal ein in eine Schotterpiste.

 

Anfangs freuen wir uns noch über die gut zu fahrende Straße, doch nach wenigen Kilometern ist klar, dass die Fahrt nach Urique kein Zuckerschlecken wird. Die Piste wird zunehmend enger, schlammiger und steiniger. Zwei Frauen erzählen uns, dass es die ganze Nacht geregnet hat und es wieder Regen geben wird. An vielen Stellen ist die Straße weggespült oder eingebrochen. Manchmal hilft es nur, die Schaufel auszupacken, um damit die gröbsten Löcher zuzuschütten. Nach 4 Stunden endet die Straße in einem Fluss. Hier geht es nur mit einer Fähre weiter. Wir warten 2 Stunden, dann wenden wir. Doch gerade als wir uns auf den Rückweg machen wollen, hören wir die Fähre kommen. Von der Anlegestelle auf der anderen Seite des Flusses ist es angeblich noch eine Stunde bis La Reforma. Die Piste ist eng, holprig und vor allem schlammig und feucht. Mehrere Male müssen wir tiefe Flüsse überqueren. Nach 2 Stunden erreichen wir La Reforma. Der Ort hat 320 Einwohner, erzählt man uns im Laden. Außerdem erfahren wir, dass es noch ungefähr 6 Stunden bis Urique sind – bei trockenem Wetter. Wir übernachten auf dem Dorfplatz und fassen den festen Entschluss, am nächsten Morgen nach Los Mochis zurückzukehren. Wohl ist uns dabei nicht, denn den Weg kennen wir ja schon und wissen, was auf uns zukommt.

 

Doch dann kommt alles ganz anders. Der Dorfpolizist schaut am Morgen vorbei und erkundigt sich, wohin unsere Reise nun gehen soll. Über Funk fragt er seine Kollegen in Urique nach den Straßenverhältnissen und berichtet, die Straße nach Urique wäre in gutem Zustand und passierbar. Wir werfen unsere Umkehrpläne über den Haufen. Getreu unserem Motto „Du wirst nie erfahren, ob es ein guter Weg ist, wenn du ihn nicht gehst“, biegen wir auf die Straße nach Urique ab.

 

Wir sind überrascht: Der Weg ist breit und geebnet, ganz ohne Schlaglöcher, allerdings ziemlich steil. Durch den nächtlichen Regen ist die Piste matschig und rutschig wie Schmierseife, so dass wir nur sehr, sehr langsam vorankommen. An mehreren Stellen ist der Hang ins Rutschen geraten, so dass wir Steine, Bäume und Erdreich wegräumen müssen. Bei einem besonders großen Erdhaufen, der uns den Weg versperrt, kommt uns ein Baggerfahrer zu Hilfe, der für die Mine in den Bergen arbeitet und in deren Auftrag die Straße frei räumt – bis zur Mine, keinen Meter weiter. Der Weg ab der Mine soll ziemlich schlecht sein, so sagt er uns. Und er soll Recht behalten. Jeden, den wir treffen, fragen wir nach dem Weg und wie weit es noch bis Urique ist. Von 2 bis 3 Stunden ist die Rede. Aber auch von 6 bis 8 Stunden. Ein alter Mann mit Cowboystiefeln, kariertem Hemd, Stetson-Hut und Lasso über der Schulter blickt nach oben, zeigt auf die Sonne und schüttelt mitfühlend den Kopf. Heute werden wir das wohl nicht mehr schaffen. Wir fahren tapfer weiter.Hügel rauf und Hügel runter. Wir queren einen Fluss nach dem anderen und fahren sogar weite Strecken im Flussbett – immer mit dem mulmigen Gefühl, was wohl passieren mag, wenn der Regen einsetzt. Als wir wieder einmal mit Schwung aus einem Flussbett heraus auf den Weg fahren, stehen wir plötzlich mitten in einem Geröllfeld. Ich steige aus und weise Tobias den Weg. Millimeter um Millimeter manövriert er den Landy über die Steinbrocken. Für 100 Meter brauchen wir eine halbe Stunde. In Metate, der nächsten Ansiedlung, lassen wir uns von einer Frau die weitere Strecke aufmalen. Spätestens jetzt ist klar, dass es kein Zurück gibt. Egal, wie die Strecke, die vor uns liegt auch aussehen mag. Nach insgesamt 8 Stunden Fahrt und 71 km Strecke erreichen wir Sreneguita, einen kleinen Ort in den Bergen. Der Tankstellenbesitzer bietet uns an, in seinem Garten zu übernachten. Wir nehmen die Einladung dankend an. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es sich nicht um eine Tankstelle im klassischen Sinne handelt. Die Zapfsäule ist ein Schlauch, der aus dem Boden kommt und über eine Pumpe wird der Autotank befüllt. Will einer der Dorfbewohner tanken, fährt er einfach an den Gartenzaun und hupt dreimal – egal, zu welcher Uhrzeit.

 

Am nächsten Morgen das gleiche Spiel wie am Tag zuvor: Wir fragen „Wie lange noch bis Urique?“ und hören als Antwort „Noch 2 Stunden“. Auf einer relativ guten Piste schlängeln wir uns auf Serpentinen bis auf eine Höhe von 2300 Metern. Hier ist es angenehm kühl und trocken und auch die Umgebung hat sich verändert. Während unten an der Küste und im Tal suptropische Vegetation vorherrschte, fahren wir jetzt durch Kiefernwälder. Ab Mesa de Arturo geht es bergab. Urique liegt nur noch ca. 550 Meter hoch. Vom

Aussichtspunkt über Urique kann man 1800 Meter in die Tiefe blicken und hat ein atemberaubendes Panorama – weitaus spektakulärer übrigens als der berühmte Touristenspot „El Divisadero“, an dem der Zug hält. Die Straße hinunter nachUrique ist steil und kurvig – und gefährlich, wie die vielen Kreuze am Straßenrand beweisen. Ein mexikanisches Ehepaar mahnt uns zur Vorsicht und beschenkt uns – als es hört, dass wir in unserem Auto leben – reichlich mit Obst. Wir fahren langsam – schon allein wegen der spektakulären Aussicht in den Canyon, die sich uns bietet. Und dann, nach 300 km und 22 Stunden reiner

Fahrzeit, erreichen wir Urique. Wir beziehen Quartier am Fluss und genießen die Aussicht auf die Berge der Sierra Tarahumara, in denen die Raramuri leben. Dorfbewohner kommen vorbei, um die Fremden mit dem komischen Auto zu begutachten. Ein Mädchen setzt sich zu uns und erzählt uns vom Leben im Dorf. Am nächsten Morgen brechen wir gut gelaunt zur letzten Etappe unserer Kupfercanyon-Tour auf. Auf der Strecke Urique – Creel verkehren regelmäßig Minibusse – die Straße ist in einem relativ guten Zustand. Und ab San Rafael ist die Straße sogar wieder asphaltiert. Es ist ein schönes Gefühl, als das Rütteln und Schütteln endlich aufhört.

 

Das sehr touristische Creel verlassen wir bereits nach einer Nacht und machen uns über die Sierra Tarahumara weiter auf den Wegnach Süden.

 

Trotz der Anstrengung und Mühen der letzten vier Tage bereuen wir keinen einzigen Meter. Auf der Fahrt durchs Hinterland, abseits der normalen Touristenrouten, haben wir unvergessliche Eindrücke von der Sierra Tarahumara und ihren Bewohnern gewonnen.

 

Fazit: Was wir schon in den USA festgestellt haben, hat sich auch hier wieder gezeigt. Die wahre Schönheit eines Canyons offenbart sich erst, wenn man ihm im wahrsten Sinne auf den Grund geht.


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