Reisebericht 10 vom 05.08.06 – 14.08.06: Kolonialstädte Mexikos


Route: Sierra Tarahumara – Durango – Zacatecas – Chicomóstoc – Aquascalientes – Guanajuato – San Miguel Allende – Querétaro – Bernal – Guadalajara – Tequila


Nach unserer abenteuerlichen Tour durch den Kupfercanyon stehen als nächstes Mexikos Kolonialstädte auf dem Programm. Doch dazu müssen wir erst einmal eine Strecke von ca. 1000 km zurücklegen. Unser Weg führt durch die Sierra Tarahumara, ein wenig abwechslungsreiches Weide- und Farmland. Das Wetter ist regnerisch und trübe. Die Temperaturen liegen tagsüber

bei 20 Grad, nachts wird es empfindlich kalt. Noch immer befinden wir uns in einer Höhe von ungefähr 2000 Metern über dem Meeresspiegel. Je weiter südlich wir kommen, desto wohlhabender wirken die Ortschaften und desto dichter gedrängt leben die Menschen. Während auf der Sierra die einzelnen Ansiedlungen zum Teil noch Tagesmärsche auseinander lagen, befinden sich jetzt die Orte fast schon in Sichtweite voneinander. Und zwischen den Orten im Süden und den Ansiedlungen im Norden ist doch ein deutliches Wohlstandsgefälle zu spüren. Wir nutzen die Zeit im Auto, um endlich mal ein paar Vokabeln zu pauken und die Infos aus dem Reiseführer zu lesen. Ab und zu winken wir einem der Reiter zu, die – stilecht in Jeans, kariertem Hemd, Cowboystiefeln und Stetson-Hut – neben der Straße traben. Übrigens tragen hier sogar die Vogelscheuchen Stetson-Hüte.

 

Wir erreichen Zacatecas am späten Nachmittag und fahren gleich zum Aussichtspunkt, dem Mirador „La Bufa“. Von dort hat man einen grandiosen Blick auf die bunten Häuser der Stadt. Kurz vor dem Mirador zweigt ein Schotterweg ab und mündet in einer kleinen Plattform. Hier wollen wir übernachten. Es ist schon dunkel, als es an unserer Scheibe klopft. Die Polizei steht vor uns und bittet uns höflich, doch oben am Mirador zu übernachten. Dort sei es sicherer und außerdem würden sie mehrmals nachts vorbei fahren und nach dem Rechten sehen. Also ziehen wir um. Am nächsten Morgen lassen wir unser Auto gleich am Aussichtspunkt stehen und laufen runter in die Stadt. In den engen Gässchen herrscht ein buntes Treiben. Wir bewundern die üppig verzierte Fassade der Kathedrale und stellen erstaunt fest, dass sich die Mexikaner bekreuzigen, wenn sie an einer Kirche vorbei gehen. Und natürlich statten wir auch den beiden Mercados einen Besuch ab. Im Mercado Laberinto gibt es Obst und Gemüse, im Mercado Arojo de la Plata findet man jede Menge Fressstände. Wir genehmigen uns ein „Comida Corrida“, ein Mittagessen aus Suppe und Hauptgang für 20 Pesos pro Person (ca. 1,50 Euro).

 

Chicomóstoc oder auch „La Quemada“, die Verbrannte, liegt nicht wirklich auf unserer Route. Trotzdem machen wir diesen kleinen Umweg, um uns die Ruinen anzusehen. Die Anlage wurde um 950 n. Chr. erbaut, vermutlich von den Azteken, genau weiß man das jedoch nicht. Auch warum sie abgebrannt ist, ist ein Rätsel. Der Umweg hat sich gelohnt, denn so treffen wir in Aguascalientes genau rechtzeitig ein, um den Straßenumzug und das Fest auf der Plaza vor der Kathedrale mitzuerleben. Einem Plakat entnehmen wir, dass anlässlich des bevorstehenden 15. August (Maria Himmelfahrt) es bereits zwei Wochen im Vorfeld jeden Tag eine Fiesta gibt. Wieder einmal futtern wir uns durch die Köstlichkeiten, die auf der Plaza feilgeboten werden, bevor wir auf dem Parkplatz vor dem Olympischen Dorf unser Nachtquartier aufschlagen wollen. Wieder klopft es an der Scheibe. Doch diesmal stehen keine Polizisten vor uns, sondern Alvaro und Martin. Sie haben unser Alemania-Schildchen gesehen und da Alvaro ein bisschen Deutsch spricht, möchten sie sich gern mit uns unterhalten. Wir gehen zusammen essen – natürlich typische Landesküche. Danach lädt uns Martin zu sich nach Hause ein. Wir lernen seine Familie kennen, trinken Corona und Mezcal (ja, den mit dem Wurm). Die Nacht verbringen wir in einem super bequemen Bett. Am nächsten Morgen verwöhnt uns Martins Mama mit einem leckeren Frühstück und Martins Papa mixt uns eine „Michelada stylo Aquascalientes“. Hier das Rezept zum Ausprobieren (schmeckt wirklich herrlich erfrischend): Saft von 2 Limetten mit 5 cl Tomatensaft und einem Spritzer Chilisoße verrühren, eine Flasche eisgekühltes Corona-Bier dazugeben und alles gut vermischen. Salud! (Alvaro y Martin, gracias por todo!)

 

Die nächste Stadt, die wir besuchen, durchqueren wir zuerst unterirdisch. Guanajuato, eine alte Minenstadt, ist in ein trockengelegtes Flussbett in einem Talkessel gebaut. Da die kleinen verwinkelten Gässchen dem Verkehrsaufkommen nicht mehr gewachsen waren, hat man den Verkehr kurzerhand unter die Erde verlegt – inklusive der Parkhäuser. Über der Erde geht es auch ohne Autos ziemlich eng zu, denn auf den Plazas und in den Straßen tummeln sich unzählige Touristen. Wir verbringen die Nacht in einer Seitenstraße am Staudamm. Am nächsten Tag besichtigen wir Queretaro. Wir machen einen kurzen Rundgang durch das Stadtzentrum, bevor wir uns zum

Mittagessen niederlassen – im familiären Restaurant „Comida Vox“ in der Madero 64 (ein echter Geheimtip!). Für gerade mal 30 Pesos pro Person (2,50 Euro) gibt es eine Suppe, ein Reisgericht, ein Fleischgericht, einen Nachtisch und Wasser mit Fruchtsaft gemischt soviel wir wollen. Und auch fürs Auge wird etwas geboten: An den bunt gestrichenen Wänden, von denen schon an der ein oder anderen Stelle der Putz abblättert, hängen alte Schwarz-Weiß-Fotografien.

 

Mit vollem Bauch machen wir uns auf nach Bernal, zum Peña de Bernal, dem angeblich drittgrößten Monolithen der Welt – nach dem Ayers Rock und dem Zuckerhut. Nachdem wir die Nacht am Fuß des Felsens vor einer Marienkapelle verbracht haben, brechen wir gleich früh um 9 Uhr zum Gipfelsturm auf. Nach 45 Minuten auf einem moderaten Wanderweg erreichen wir einen Felsabsatz. Ab hier führt ein Klettersteig weiter nach oben. Doch die Eisenleitern enden

mitten in der Wand. Ein Aufstieg zum Gipfel wäre nur mit kompletter Kletterausrüstung möglich, doch die liegt im Auto. Vielleicht entfaltet der Felsen seine magischen Kräfte – man sagt ihm nach, er verleihe ein langes Leben – ja trotzdem. Wir kehren um und spazieren durch den Ort. Bernal gefällt uns auf Anhieb. Genau so haben wir uns eine mexikanische Stadt vorgestellt. Die Plaza wird eingerahmt von farbenprächtigen und hübsch verzierten Häuschen. Der Baustil mutet maurisch an, hinter den bunten Fassaden verbergen sich liebevoll gestaltete Innenhöfe mit gekachelten Wänden und zierlichen Brunnen. Auf der Plaza ist leise Musik zu hören. Der Duft von gebackenen Maisfladen und gegrillten Maiskolben kitzelt unsere Nasen. Keine Spur von Hektik. Hier geht es ruhig und beschaulich zu. Keine Frage, dieser Ort hat Flair. Wir überlegen lange, ob wir nicht noch einen weiteren Tag bleiben. Aber morgen ist der 12. August und wir wollen meinen Geburtstag in Guadalajara feiern – also ziehen wir weiter. Auf der Autobahn trauen wir unseren Augen kaum: Tausende (und das ist nicht übertrieben) Radfahrer sind hier unterwegs. Aus der Tatsache, dass einige der Radler Marienbilder auf ihrem Rücken schultern und einzelne sich sogar ganze Schreine umgeschnallt haben, schließen wir, dass der Fahrradkonvoi anlässlich Maria Himmelfahrt stattfindet. Ab Penjamo fahren wir durch Agavenfelder. Links und rechts, so weit das Auge reicht, nur noch blaue Agaven. Aus diesen Pflanzen wird das wohl berühmteste Exportgut Mexikos hergestellt, der Tequila. „Comida por el cuerpo. Tequila por la alma. – Essen für den Körper. Tequila für die Seele” steht auf einem Plakat. Doch der Tequila muss noch eine Weile warten.

 

Zum Geburtstag habe ich mir von Tobias ein Hotelzimmer und eine heiße Dusche gewünscht. Doch da es gar nicht so einfach ist, ein Hotel zu finden, dessen Tiefgarageneinfahrt hoch genug für unseren Landy ist (mind. 2,50 m), quartieren wir uns schließlich im Holiday Inn ein.Was sein muss, muss sein! Als die Dame an der Rezeption hört, dass ich Geburtstag habe, bekommen wir ein kostenloses Upgrade und verbringen die Nacht wahrhaft luxuriös. Obwohl das Hotel direkt an der Avenida Juarez liegt und unser Zimmer auf die Straße hinausgeht, wachen wir am nächsten Morgen ganz ohne Verkehrslärm auf. Sonntag Vormittag ist diese Straße nämlich für Autos gesperrt und gehört ganz allein den Fußgängern, Radfahrern und Inline-Skatern. Sonntag ist aber auch der Tag, an dem die Charreadas, die berühmten Reiterspiele stattfinden. Die Caballeros (Cowboys) verschiedener Haciendas treten im Wettbewerb gegeneinander an und stellen ihre Kunstfertigkeit, mit Pferd und Lasso umzugehen, unter Beweis. Die Reiter müssen zum Beispiel ihr Pferd aus dem Galopp heraus möglichst schnell zum Stehen bringen, einen Stier und ein Pferd

mit dem Lasso einfangen und im Galopp von einem Pferd aufs andere überwechseln.Ein faszinierendes Schauspiel. Besonders schön anzusehen ist auch die prächtige Kleidung der Reiter, die reich verzierten, ausladenden Sombreros und die aufwändig bestickten Gürtel. Da wir gut eine halbe Stunde vor dem offiziellen Start da sind, erleben wir noch mit, wie die Reiter in der kleinen Kapelle beten. Außerdem beobachten wir während der Charreada, dass sich die Reiter vor den einzelnen Darbietungen bekreuzigen.

 

Und dann ist endlich Zeit für die Seele – sprich für Tequila. Die Stadt Tequila liegt 50 km nordwestlich von Guadalajara und ist berühmt für die Herstellung des nach ihr benannten Getränks. Als wir Tequila erreichen, sind mindestens die Hälfte der 35.000 Einwohner auf der Plaza versammelt. Schon wieder eine Fiesta – mit Musik, Tanzdarbietungen und Fressständen. Wir mischen uns ins Getümmel, flanieren ein bisschen über die Plaza und erkundigen uns in der Polizeistation nach einem sicheren Übernachtungsplatz. „El Jefe“ höchstpersönlich erteilt uns die Erlaubnis, auf dem Polizeiparkplatz zu campieren. Ein anderer Polizist gibt uns dann noch Tipps, wo heute abend die Musik spielt und wie viel der Tequila in den Bars kostet.

 

Am nächsten Morgen sind wir spät dran. Es ist schon kurz vor 10 Uhr als wir – ohne Frühstück – in die Tequila-Destillerie José Cuervo einmarschieren. Doch wir haben Glück, denn wir sind die ersten Besucher und erhalten neben einem Studentenrabatt – schließlich studieren wir heute den Erstellungsprozess des Tequilas – auch noch eine private Führung. Cuervo ist die älteste und größte Destillerie in der Stadt. Sie nennt 22.000 Hektar Agavenfelder ihr eigen, doch das deckt gerade mal 80% des Agaven-Bedarfs. Der Rest wird zugekauft. Die Tour ist sehr informativ. So erfahren wir zum Beispiel, dass Tequila ausschließlich aus den blauen Agaven gemacht wird – und zwar aus den Agavenherzen, nicht aus den Blättern. Das Agavenherz wird erst erhitzt, dann gepresst, der Saft wird fermentiert und anschließend zweimal destilliert. Zunächst erhält man so weißen Tequila. Wird dieser dann in Eichenfässern gelagert – zwischen 2 Monaten und mehreren Jahren – so erhält er eine braune Färbung und wird weicher im Geschmack. Aber er heißt immer noch Tequila. Der ähnlich schmeckende Mezcal wird erstens aus anderen Agavenpflanzen hergestellt und stammt zweitens aus einer anderen Region. All das und noch viel mehr lernen wir auf unserer Tour durch die Fabrik – und natürlich dürfen wir auch probieren. Nach jedem Produktionsschritt gibt’s ein Schlückchen. Oder zwei oder drei. Und zum krönenden Abschluss wird uns noch ein Glas Margarita serviert. Gut gelaunt verlassen wir um 12 Uhr die Fabrik. An eine Weiterfahrt ist erst einmal nicht zu denken. Wo kämen wir denn hin, wenn wir jedes Schlagloch doppelt sehen würden…? Also gehen wir erst einmal in den Mercado und genehmigen uns ein Frühstück.Tequila por la alma. Comida por el cuerpo.


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