Route: Paricutín – Morelia – Nevado de Toluca – Mexico City – Teotihuacán – Popocatépetl – Iztaccíhuatl – Puebla – La Malinche – Orizaba – Monte Albán – Oaxaca
Wir haben das kleine Tarasken-Dorf Angahuan (ca. 60 km südlich von Zamora) noch nicht einmal betreten, schon werden wir von Caballeros umringt, die uns eine Pferdetour zum Vulkan Paricutín verkaufen wollen. Doch da wir gar Nicht vorhaben, diesen – relativ kleinen – Vulkan zu besteigen, ist mit uns in dieser Hinsicht kein Geschäft zu machen. Stattdessen machen wir uns zu Fuß – und ganz ohne Führer – auf zu den Ruinen von Paricutín. Bei dem Vulkanausbruch 1943 haben die Lavamassen dieses Dorf unter sich begraben. Einzig und allein der Kirchturm und eine Mauer des Kirchenschiffs sind noch zu sehen und ragen gespenstisch aus dem schwarzen Gestein. Die Tour ist kürzer als gedacht. Nach 2 Stunden sind wir wieder am Campingplatz des Centro Touristico und machen uns einen schönen Nachmittag.
Nach einem kurzen Zwischenstopp in Morelia geht die Fahrt weiter nach Toluca. Die Straße windet sich in endlosen Serpentinen bis auf 2.700 m hinauf und erfreut uns mit fantastischen Ausblicken. Den Abstecher zu den Monarch-Schmetterlingen schenken wir uns – denn die sind zur Zeit ohnehin auf Urlaub in Nordamerika, und dort haben wir sie bereits gesehen. Der Nationalpark Nevado de Toluca wartet mit einer einmaligen Attraktion auf: einem 4.690 m hohen Vulkan, zu dessen Kraterrand man mit dem Auto fahren kann. Zunächst jedoch übernachten wir am Eingang des Nationalparks auf 3.700 m, um uns an die Höhe zu gewöhnen. Wir trinken viel – natürlich Wasser – und gehen früh schlafen, damit wir am nächsten Morgen fit sind. Den Gipfel muss man nämlich morgens erklimmen, denn ab Mittag hüllt er sich für gewöhnlich in Wolken. Wir umfahren großzügig und schnell die Schranke des Kassenhäuschens, an dem man die Maut für die Fahrstrecke entrichten muss und zahlen weiter oben nur 3 Pesos pro Person Eintritt in den Nationalpark. Auf einer holprigen und engen Schotterpiste fahren wir bis zu den Lagunen auf 4.216 m Höhe. Wir parken an der ersten Lagune und machen uns auf den Weg zum Gipfel. Schon nach wenigen Metern stellen wir fest, dass unser Landy mit der Höhe weniger Probleme hat als wir. Schnaufend quälen wir uns den Trampelpfad am Kraterrand entlang und kraxeln keuchend das letzte Stück bis zum Gipfel hoch. Der Ausblick von hier oben ist gigantisch und die Luft unvergleichlich sauber und klar. Schnell nehmen wir noch ein paar Atemzüge dieser reinen Luft auf Vorrat – denn unser nächstes Ziel ist Mexico City. Und das heißt bekanntlich Smog, so weit das Auge reicht.
Eigentlich hatten wir vor, die 25-Millionen-Metropole großzügig zu umfahren. Aber der Zustand unseres Autos macht uns mal wieder einen Strich durch die Rechnung. Schon lange klappert und scheppert es vorne links. Als Tobias sich endlich dazu durchringen kann – auf 3.700 m Höhe – einen Blick in den Motorraum zu werfen, stellt er fest, dass die Gummilager der vorderen Stoßdämpfer quasi nicht mehr vorhanden sind. Also auf zum Landrover-Händler nach Mexico-City. Dort ist man über unser Reparatur-Ersuchen gar nicht entzückt. Man verkaufe keine Diesel-Fahrzeuge, erklärt man uns – ohne näher auf unsere Frage einzugehen, was das denn mit dem Stoßdämpfer zu tun habe. Nach einigem Hin und Her – inklusive dem Herauszupfen des ohnehin schon kaputten Gummis, sagt man uns, dass mit etwas Glück das entsprechende Ersatzteil in ca. 6 Wochen da sein könnte. Wir machen auf dem Absatz kehrt und halten in dem Straßengewirr der Hauptstadt Ausschau nach einem Laden mit der Aufschrift „Amortiguadores“ (Stoßdämpfer). Als wir einen solchen
schließlich in einem ziemlich schäbigen Stadtteil finden, nehmen sich sofort drei Mechaniker der Sache an. 15 Minuten später haben die Stoßdämpfer neue Gummilager. Kostenpunkt 100 Pesos (8 Euro). Der Weiterfahrt zu den Ausgrabungen von Teotihuacan steht nichts mehr im Wege. Doch dazu müssen wir auf die andere Seite der Stadt. Kein Problem, denken wir uns, und fahren auf die Periferico, die Umgehungsstraße. Es ist Samstag Nachmittag. Über der Stadt hängt eine undurchdringliche gelbe Dunstglocke. Unser Hals kratzt von dem Dreck, den wir einatmen. Auf unserer Haut liegt ein Staubfilm. Es geht im Stop-and-Go-Verfahren voran. Nach sage und schreibe 5 (!) Stunden erreichen wir die Abzweigung nach Teotihuacan (Los Piramides). Als wir an der Ausgrabungsstätte ankommen, ist es bereits dunkel. Wir fahren die Eingangstore ab, in der Hoffnung, auf einem der Parkplätze übernachten zu können. Doch die Parkplätze liegen alle innerhalb der Absperrungen. Also fahren wir in den Ort, fragen den Erstbesten, der uns über den Weg läuft, wo man hier das Auto sicher über Nacht parken könne – und dürfen prompt in seinem Vorgarten übernachten. Und wir haben noch mehr Glück. Mexiko-City hat uns zwar einen ganzen Tag gekostet, so dass wir Teotihuacan an einem Sonntag besichtigen – aber sonntags ist der Eintritt frei.
„Teotihuacan“ bedeutet „Heimat der Götter“. Die Azteken fanden 1250 n. Chr. die Stadt bereits verlassen vor und glaubten, Götter hätten die Pyramiden und Tempel erschaffen. Sie benannten die beiden größten Pyramiden nach Sonne und Mond und erklärten die Anlage zum Kultzentrum für ihre Götter, von denen die wichtigsten der Schöpfungsgott Quetzalcoatl (die gefiederte Schlange) und der „brillengesichtige“ Wassergott Tláloc waren.
Nach dem Aufstieg auf die Sonne- und die Mondpyramide steht uns der Sinn wieder nach ein paar „richtigen“ Bergen. Unser nächstes Ziel ist der erloschene Vulkan Iztaccíhuatl und sein berühmter und noch aktiver Nachbar "Popocatépetl“ oder „Popo“, wie ihn die Mexikaner nennen. Zwischen 1347 und 2001 ist der über 5.000 m hohe „Popo“ 22 mal ausgebrochen. Trotz der Hinweisschilder, die vor Aschebomben und herabstürzenden Felsbrocken warnen, übernachten wir im Nationalpark in einem Feldweg am Straßenrand – auf 3.200 m Höhe. Nachts fällt das Thermometer auf 2 Grad. Innen im Auto hat es gerade noch 5 Grad. Gegen Kälte hilft nur Bewegung. Wir fahren vom Paso Cortés weiter bis zur Hütte „La Joya“ und laufen von dort einen Teil des Weges, der zum Gipfel des Iztaccíhuatl führt. Ein kleiner schwarzer Hund begleitet uns. Ohne müde zu werden, rennt er Stunde um Stunde neben uns her. Als wir wieder am Auto sind, bekommt er unsere Brot-Sticks, die wir seit USA mit uns herum fahren und eigentlich auch nur aus Versehen gekauft hatten (weil wir sie für chinesische Nudeln hielten). Ihm scheinen sie zu schmecken – ebenso der Kuh, die plötzlich auftaucht und ihm das Futter streitig macht. Durch unsere vielen Aufenthalte in der Schweiz durchaus an Kühe gewöhnt, steigt Tobias aus und will die Kuh verjagen. Die macht einen Bogen und rammt ihre Hörner gegen unser Auto. Klarer Fall von BSE – Creutzfeld-Jakob lässt grüßen.
Obwohl wir keine rechte Lust verspüren, uns schon wieder in eine Stadt zu begeben, statten wir erst Cholula und dann Puebla einen kurzen Besuch ab. Von Puebla, der einstigen Kolonialstadt und heutigen Hochburg des VW-Käfers sind wir angenehm überrascht. Der Verkehr in der Innenstadt hält
sich in Grenzen, das Zentrum ist übersichtlich, die Atmosphäre ist angenehm und entspannt. Wir schlendern durch die Straßen, schauen beim Tourismo vorbei – hier spricht man deutsch (!) – kaufen ein und gehen essen. Gestärkt brechen wir anschließend auf zu einer Bergbesteigung der besonderen Art – und zwar zum Vulkan Cuexcomate. Da wir den Weg dorthin nicht gleich finden, fragen wir einen Polizisten – und werden wieder einmal mit Polizeieskorte bis zum Eingangstor geleitet. Und dann stürmen wir den Gipfel – des kleinsten Vulkans der Welt: ganze 13 Meter hoch. Leider nicht mehr aktiv.
Noch immer nicht genug von feuerspuckenden Bergen machen wir uns auf zum Vulkan „La Malinche“ – und fahren natürlich erst einmal den direktesten Weg. Nach etwas mehr als einer Stunde Fahrt stehen wir im Ort Canoa vor einem Weg, der Ähnlichkeit mit einem Steinbruch aufweist. Alle, die wir fragen, bestätigen uns, dass dies der Zugang zum Berg sei. Wir sind skeptisch und wenden, um den „langen“ Weg über die asphaltierte Straße zu nehmen. Als es dunkel wird und wir einen Übernachtungsplatz suchen, halten wir an der nächsten Polizeistation und spielen unser gewohntes „Spiel“: Während Tobias im Auto sitzen bleibt, marschiere ich – blond und blauäugig – in die Polizeistation und frage nach einem sicheren Stellplatz für mein Auto. Auch dieses Mal dürfen wir genau vor der Polizeistation campieren. Nicht weniger als 20 Polizisten, die Dienst schieben, passen auf uns auf.
Als wir den Nationalpark „La Malinche“ erreichen, ist es neblig und es regnet. Und es regnet auch am nächsten Morgen. Und am übernächsten ebenfalls. Wir lassen den Berg Berg sein und fahren weiter zum „Pico Orizaba“, dem höchsten Vulkan Mexikos, 5.610 m hoch. Wir steuern direkt auf ihn zu, sind nur noch 20 km vom Fuß des Vulkans entfernt – aber wir sehen ihn nicht. Keine einzige Felsnase ist sichtbar. Der ganze Berg ist in Wolken. Also streichen wir auch den Pico Orizaba und wenden uns stattdessen wieder den archäologischen Stätten zu.
Bevor wir uns für ein paar Tage in Oaxaca zum Sprachkurs niederlassen, besuchen wir die wenige Kilometer entfernte Ausgrabungsstätte Monte Albán – natürlich an einem Sonntag und sparen uns wieder einmal den Eintritt. Die Anlage erinnert sehr stark an Teotihuacan, ist zwar kleiner, ohne große Pyramiden, dafür mit zwei Plattformen. Die Funde aus dem Grab Nummer 7 – unter anderem der berühmte, mit Türkisen besetzte Totenkopf – bewundern wir gleich im Anschluss im Museum Cultural in Oaxaca. Auch hier ist übrigens an Sonntagen der Eintritt frei.
Das erste, was wir von Oaxaca sehen, sind brennende Autoreifen mitten auf der Fahrbahn, daneben Steine, Stacheldraht undWellblech. Viele der Hauptzugangsstraßen ins Zentrum sind blockiert – so dass wir auf Grund des Einbahnstraßensystems weite Umwege fahren müssen. Ich steige aus und frage jemanden, was hier los ist. So erfahre ich, dass seit drei Monaten die Lehrer streiken, weil sie mehr Geld fordern. Inzwischen ist die Situation jedoch eskaliert und zu einer allgemeinen Revolte des Volkes gegen den
Gouverneur geworden. Nun will man, dass der Gouverneur die Stadt verlässt. Der jedoch denke gar nicht daran und habe, nach einer Schießerei, erst einmal sämtliche Regierungsbeamten und Polizisten aus der Stadt abgezogen. Nicht gerade die besten Voraussetzungen, um hier einen einwöchigen Sprachkurs zu absolvieren. Doch in der Schule versichert man uns, dass erstens die Sprachlehrer arbeiteten und zweitens für Touristen keine Gefahr bestehe, sofern sie sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf den Straßen blicken ließen. Wir bleiben und nutzen die Gelegenheit gleich, unseren „politischen“ Wortschatz zu erweitern, indem wir uns von unseren Lehrern die Situation bis ins kleinste Detail schildern lassen, uns sogar die Zeitung kaufen, um mitreden zu können. Tagsüber demonstrieren die Bürger Oaxacas auf dem Zocalo oder in den Seitenstraßen gegen den Gouverneur. Die APPO, eine Art Popular-Parlament, hat die Radiosender der Stadt besetzt und sendet rund um die Uhr. Nachts verbarrikadieren sie die Zugangswege zu den Sendern und ihren Häusern, um sich vor Staatswillkür und Übergriffen durch die Regierung zu schützen. Und tatsächlich beobachten wir, dass einige der Straßensperren morgens ordentlich zur Seite geräumt werden, um sie dann abends wieder aufzustellen. Als endlich Verhandlungsgespräche anstehen, kommt es zu einer erneuten Demonstration: Dieses Mal bleiben einen ganzen Tag lang alle Geschäfte und Einrichtungen der Stadt, vom Bäcker bis zum Zahnarzt, geschlossen, von vielen Häusern wehen weiße Fahnen. Auf diese Weise verleihen die Bewohner der Stadt ihrem Wunsch nach einer schnellen und gewaltfreien Lösung und der Rückkehr der Normalität Ausdruck. Zudem steht der 01. September an – an diesem Tag muss der „alte“ Präsident den „neuen“ Präsidenten bekannt geben. In Mexico-City und Oaxaca sind Demonstrationen geplant. Für den „Mega-Marsch“ in Oaxaca erwartet man 100.000 Teilnehmer. Unser Sprachkurs endet so, dass wir es schaffen könnten, noch vor dem Marsch die Stadt zu verlassen. Aber ein solches Spektakel wollen wir uns nicht entgehen lassen. Wir mischen uns unter die Schaulustigen und werden Zeugen, wie Vertreter aus dem ganzen Bundesstaat Oaxaca, darunter viele Indigenas und erstaunlich viele Frauen, friedlich gegen den Gouverneur demonstrieren. Und das in einer Stadt, in der es keine Polizei mehr gibt. Der Zug zieht aus dem Vorort San Felipe bis in die Innenstadt, durch Hauptverkehrsstraßen und vorbei an parkenden Autos. Und obwohl viele der Demonstranten vermummt sind und Schlagstöcke bei sich tragen, geht keine Scheibe zu Bruch und wird kein Auto demoliert. Der Marsch erinnert entfernt an einen deutschen Karnevalszug. Nach Regionen und Berufsgruppen aufgestellt, marschieren die Menschen mit selbst gemalten Plakaten und selbst gebastelten Figuren und Puppen durch die Stadt. Die Demonstranten und die Zuschauer winken sich zu. Eis- und Wasserverkäufer fahren durch die Menge. Aus der Zeitung erfahren wir am nächsten Tag, dass statt der erwarteten 100.000 Demonstranten 300.000 an dem Marsch teilgenommen haben. Außerdem lesen wir, dass der „alte“ Präsident die Verkündigung des Wahlergebnisses verschoben hat.
Trotz der ernsten und hochexplosiven Situation haben wir uns in Oaxaca zu jedem Zeitpunkt sicher gefühlt. Wir sind über den Zocalo gelaufen, haben Straßensperren umrundet, fotografiert, waren im Mercado essen und haben unser Auto in der Innenstadt geparkt. Wir haben nie erlebt, dass sich jemand – weder Fußgänger noch Autofahrer – über die Straßenblockaden geärgert oder gar beschwert hätte. Und auch die Gespräche zwischen den Demonstranten untereinander oder mit Passanten waren immer freundlich und angenehm. Mehr als einmal haben wir Vergleiche gezogen und überlegt, wie ein derartiger Protest wohl in Deutschland aussehen würde. Wir versuchen auf jeden Fall bezüglich der Situation in Oaxaca auf dem Laufenden zu bleiben. Und zum Abschluss noch ein kurzer Abstecher in die kulinarische Welt. Oaxaca ist nämlich berühmt für seine – teilweise sehr ausgefallene – Küche. Da wären zum einen die „moles“, Soßen unterschiedlicher Art, aber vor allem unterschiedlicher Farbe. Die Gerichte werden in der Regel nur nach der Farbe der Soße benannt. Allen voran „mole negro“ – eine dunkle, dicke Soße aus 20 Zutaten, darunter Schokolade und Chili, die man zu Hühnchen und Reis isst. Ebenfalls sehr lecker sind „Tlayudas“, riesige, knusprig gebackene Maisfladen, die mit Salat, Käse und Fleisch belegt werden. Zu trinken gibt es „Chamburrado“, eine schaumige Trinkschokolade, oder „Atole“, ein Maisgetränk. Und auch die „Panaderias“, die Bäckereien, haben ein Angebot an Brötchen, Blätterteigpastetchen und Zuckerware, das nicht zu verachten ist. Zum Glück hatten wir über eine Woche Zeit, all die Köstlichkeiten zu probieren. Nur eine Spezialität Oaxacas haben wir ausgelassen: „Chapulines“ – geröstete Heuschrecken. Die könne man ohnehin nur mit viel Tequila hinunter spülen,verriet uns unser Spanischlehrer. Aber wir trinken den Tequila lieber pur. Prost.