Reisebericht 35 vom 11.11.07 – 29.11.07: Patagonien –  Nationalpark Torres del Paine  


Route: Punta Arenas – Fort Bulnes – Puerto Hambre – Puerto Natales – Laguna Sofia – Laguna Amarga – Nationalpark Torres del Paine – Puerto Natales – Punta Arenas


Punta Arenas, die – so sagt man – schönste Stadt Chiles, wurde 1848 gegründet und liegt direkt an der Magellanstraße. Vom Aussichtspunkt oberhalb der Stadt blicken wir auf einen bunten Flickenteppich hinab. Häuser mit roten Dächern und gelben Fassaden stehen genau neben rosa Häusern mit grünen Dächern. Andere leuchten in der Kombination Blau und Weiß. Dazwischen stechen immer mal wieder leuchtende Farbtupfer in Orange und Lila heraus. Ein Anblick, der für gute Laune sorgt.

 

Etwa 60 km von Punta Arenas entfernt befindet sich Fort Bulnes. Die erste chilenische Siedlung an der Magellanstraße wurde 1843 errichtet. Ein paar Kilometer weiter liegt der südlichste Punkt des chilenischen Festlandes. Das ist insofern erstaunlich, als dass nicht weit davon entfernt ein Monument die geografische Mitte Chiles kennzeichnet. Wie kann das sein? Die Erklärung ist einfach: Gemessen wurde die Entfernung von Arica im Norden des

Landes bis zum Südpol – womit Chile auch gleich seinen Anspruch auf einen Teil der Antarktis klar und deutlich zum Ausdruck bringen will. Wie weit es allerdings von der geografischen Mitte noch bis zum Südpol ist, darüber gibt das Monument keinen Aufschluss. Puerto Natales liegt am „Fjord der letzten Hoffnung“ und ist das Eingangstor in den Nationalpark Torres del Paine, unserem nächsten Ziel.

 

Der Nationalpark Torres del Paine ist 242.242 Hektar groß. Mit seinen Höhenlagen zwischen 200 und 3050 Metern, seinen türkisblauen Seen, den saftigen grünen Wiesen, den Wäldern und den vergletscherten Berghängen ist er ein Paradies für Bergsteiger und Wanderer. Die Hauptattraktion des Parks sind drei scharf gezackte Felsnadeln aus Granit, die sich inmitten des Paine-Massivs gen Himmel strecken und dem Park seinen Namen gegeben haben. Wenn an schönen Tagen morgens die ersten Sonnenstrahlen die steilen Wände der „Torres“ erreichen, erstrahlen diese in rosafarbenem Glanz und heben sich noch schärfer als sonst vom hellblauen Himmel ab. Ganz anders aber mindestens genauso spektakulär ist der Anblick der „Cuernos“, jener Hörner, die zweifarbig, oben schwarz und unten hell, einen fantastischen Kontrast zu dem türkisblauen Wasser des Lago Nordensjköld bilden.

 

Das „W“, eine 75 Kilometer lange Trekkingroute in W-Form führt zwischen dem Paine-Massiv und dem Lago Nordenskjöld am Fuß der Cuernos vorbei und macht drei Abstecher nach oben (daher der Vergleich mit dem W): hinauf zur Lagune am Fuß der Torres, hinter ins Valle Francés zu den hängenden Gletschern und am Lago Grey entlang zur Gletscherzunge des Grey-Gletschers.

 

Da wir das W schon kennen, wollen wir dieses Mal den „Circuito“ in Angriff nehmen, der zwar das „W“ enthält, aber zusätzlich an der Nordseite des Massivs vorbei führt, also insgesamt das komplette Massiv einmal umrundet. Doch am Eingangshäuschen zum Park prangt unübersehbar ein Schild mit der Aufschrift: Circuito geschlossen. Aus Sicherheitsgründen. Angeblich haben Schneemassen in Höhe des John Gardner Passes, der Schlüsselstelle des gesamten Weges, ein Stück des Hanges mit ins Tal gerissen. Die Refugios und Campingplätze auf der Rückseite des Massivs sind geschlossen. Der Park-Ranger erzählt uns, dass bereits an der Wiederherstellung des Weges gearbeitet wird, man aber noch nicht sagen könne, wann der Weg wieder geöffnet wird. 

 

Wir setzen uns erst einmal an die Laguna Amarga und genießen hier, umgeben von Guanacos und Füchsen das fantastische Panorama. Es ist bestes Wetter, die Sonne lacht und es ist nicht einmal der Hauch einer Wolke zu sehen. Doch wir sitzen nicht lange in unseren Campingstühlen, da kribbelt’s auch schon in den Zehen. So schönes Wetter muss man schließlich ausnutzen. Also räumen wir alles wieder ein und fahren über eine Eisenbrücke, die so schmal ist, dass selbst der Landy nur ganz knapp zwischen die Geländer passt, zum Campingplatz Las Torres an der Hosteria Las Torres, dem Start- und Endpunkt

für den Circuito. Wir sind gerade dabei, die Essensrationen für die nächsten Tage zusammen zu stellen, als wir Bekanntschaft mit einer Gruppe der britischen Armee machen. Die Engländer sind eben von ihrer zehntägigen Umrundung des Massivs zurück gekommen und haben beschlossen, uns ihr überflüssiges Expeditionsessen zu schenken. Vermutlich hatten sie Mitleid mit uns, weil wir ein britisches Auto fahren. Als wir nach dem Zustand des Weges fragen, zuckt die Engländerin, die uns das Care-Paket überreicht, nur mit den Schultern. Man käme schon durch, meint sie, aber an einigen Stellen wäre es weglos und ein hartes Stück Arbeit.

 

Obwohl man sowohl den „Circuito“ als auch das „W“ normalerweise gegen den Uhrzeigersinn läuft, starten wir unsere Trekkingtour im Uhrzeigersinn – und beginnen erst einmal mit dem „W“. So lassen wir uns alle Optionen offen und könnten, falls der Pass tatsächlich nicht passierbar sein sollte, wieder umkehren und vom Refugio Pehoé aus mit dem Katamaran und mit dem Bus zu unserem Auto zurückkehren. Wir würden so vermeiden, allzu große Strecken doppelt zu laufen. Wir starten mit dem Aufstieg zur Lagune am Fuß der Torres. Ein straffer Sechseinhalb-Stunden-Marsch führt anfangs über Geröll, dann durch dichten Wald am Fluß entlang und schließlich muss man über riesige Steinquader klettern. Pünktlich zu unserem Eintreffen an der Lagune schiebt sich eine Wolke vor die Felsnadeln und macht keine Anstalten, weiter zu ziehen. War ja klar … Weiter geht’s am Ufer des Lago Nordensjköld entlang, vorbei an knallrot blühenden Büschen. Je mehr wir uns den Cuernos nähern, desto wechselhafter wird das Wetter. Wolken ziehen auf, ab und zu regnet es,  dazwischen scheint immer wieder die Sonne und heizt die Luft von einer Sekunde auf die andere so sehr auf, dass wir eine Schicht nach der anderen ablegen, bis wir schließlich im T-Shirt wandern. Nur, um eine halbe Stunde später wieder eine Jacke nach der anderen überzuziehen. Als wir ungefähr auf Höhe der Cuernos sind, fängt mein rechtes Knie an zu schmerzen. Mehr auf einem Bein hüpfend denn auf beiden Beinen laufend erreiche ich das Valle Francés, in dem wie üblich dunkle Regenwolken hängen. Am nächsten Morgen lässt mir Tobias galant den Vortritt – doch nicht etwa, damit ich mit meinem steifen Knie das Marschtempo bestimmen kann, sondern vielmehr, damit ich nicht sehe, dass auch er Probleme mit seinem Knie hat. Ich merke es natürlich trotzdem und beginne mich ernsthaft zu fragen, ob das wohl die ersten Alterserscheinungen sind. Nein, das kann nicht sein … Tobias will davon nichts wissen. Also verscheuchen wir solche Gedanken sofort wieder, beißen die Zähne zusammen und humpeln weiter. Als wir das Refugio Pehoé erreichen, regnet es in Strömen. Der Wind fegt mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h über unsere Köpfe hinweg und peitscht das Wasser im See derart auf, dass es aussieht als würde es kochen. Wir verziehen uns erst einmal ins Refugio, kochen Nudeln und warten bis der Sturm vorbei ist. Die nächsten Tage herrscht geradezu Bilderbuchwetter. Perfekte Bedingungen also für die Umrundung des Massivs. Der Grey-Gletscher kalbt friedlich vor sich hin. Am John Gardener Pass fehlen an einigen Stellen die farbigen Wegmarkierungen – aber der Weg ist auch ohne orangefarbene Pfosten eigentlich nicht zu verfehlen. Der Lago Dickson ruht friedlich in der Sonne und der Anblick des Dickson-Gletschers blendet so sehr, dass wir selbst hinter der Sonnenbrille noch die Augen zukneifen müssen. Überall blühen Gänseblümchen und Löwenzahn. So macht Trekken Spaß – und auch die Schmerzen in den Knien sind auf einmal wie weggeblasen. Am – laut Plan – vorletzten Tag unserer Tour erreichen wir nach sieben Stunden zügigem Marsch das Campamento Seron. Es ist fünf Uhr nachmittags. Noch vier Stunden trennen uns vom Parkplatz, auf dem unser Auto steht. Noch fünf Stunden bis Sonnenuntergang. Der Ausblick auf ein bequemes Bett und eine heiße Dusche mobilisiert sämtliche Kraftreserven. Wir laufen weiter. Kurz vor 22 Uhr sperrt Tobias die Autotür auf. Ich setze meinen Rucksack ab und habe auf einmal das Gefühl, zu schweben. Den Lachs, der köstlich duftend wenig später in einem Restaurant in Puerto Natales vor uns auf den Tellern liegt, haben wir uns redlich verdient.


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