Route: Lima – Paracas – Nasca – Abancay – Corahuasi – Cusco – Pisaq – Ollanta – Santa Teresa – Aguas Calientes – Machu Picchu – Santa Teresa – Ollanta – Maras – Chincero – Cusco – Puno – Arequipa - Tacna
Südlich von Lima kehrt wieder Ruhe ein. Das Gehupe der Autos, Busse und Trucks nimmt mit jedem Kilometer ab und endlich haben wir auch unsere Fahrspur wieder für uns und müssen sie nicht mit drei anderen Fahrzeugen teilen. Die Landschaft links und rechts der Panamericana ist trostloser als je zuvor: Wüste so weit das Auge reicht. Ab und zu stehen ein paar Strohhütten zwischen den Sanddünen, die Türen mit Plastikfolien verhängt. Kein Strom, kein Wasser – die Menschen, die hier leben, gehören zweifelsohne zu den Ärmsten der Armen. Dazwischen kreuzen wir immer wieder grüne Täler. Aus den Bergen fließen die Flüsse hinunter ins Meer und ermöglichen es den Bauern, dieser unfreundlichen Landschaft wenigstens auf einem kleinen Streifen Leben abzutrotzen. Wir queren das Weinanbaugebiet Perus – unschwer zu erkennen an den vielen Straßenständen und Bodegas, die Weine und Pisco zum Verkauf anbieten. Wir fahren vorbei an riesigen Baumwollplantagen und Olivenplantagen.
Paracas, auf der gleichnamigen Halbinsel gelegen, ist ein verschlafener Ort. Nur ein paar wenige Touristen schlendern abends durch die Straße oder sitzen in einem der Fischrestaurants direkt am Meer. Morgens um sieben jedoch ist es mit der Ruhe schlagartig vorbei. Dutzende von Reisebussen fallen in den kleinen Ort ein und spucken Touristen aus, die alle das gleiche wollen, nämlich einen Bootsausflug auf die Islas Ballestas machen. In Zweierreihen müssen sich die Wartenden vor dem Bootssteg aufstellen – wie in der Schule. Dabei geht es zu wie im Kindergarten. Niemand will hinten stehen, alle drängen nach vorne, die ersten haben bereits nach wenigen Sekunden schon wieder den Namen des Bootes vergessen, auf das sie ihr Reiseleiter eingebucht hat, andere haben noch gar kein Boot, geschweige denn ein Ticket. Auf der etwa einstündigen Fahrt zu den Inseln passieren wir zunächst »El Candelabro«, eine in den Wüstensand eingekerbte Figur in Form eines Dreizacks bzw. Candelabers. Seit hunderten von Jahren trotzt diese Zeichnung jedem Wind und jedem Sandsturm, nichts kann sie zuwehen. Woher sie stammt, welchem Zweck sie diente, niemand weiß es. Die Islas Ballestas sind ein paar Felsen mitten im Meer, eingehüllt in eine beißende Duftwolke. Für die einen ist es Vogelkacke, für die anderen der kostbarste Naturdünger der Welt. Weißer Guano überzieht die Klippen. Er stammt von den Pelikanen, Möwen und Tölpeln, die zu tausenden die Felsen besiedeln. Auch Seelöwen gibt es hier – und Pinguine.
Zwei Stunden später haben wir wieder festen Boden unter den Füßen und machen einen Abstecher ins Landesinnere. Die alte Inka-Siedlung Tambo Colorado liegt ausnahmsweise nicht in den Bergen, sondern in Küstennähe und wurde mit den Materialien erbaut, die in dieser Region zur Verfügung standen. Also unter anderem aus Lehm. Das Besondere an der Ruine sind die Reste von Originalfarben auf den Mauern. Die Türen und Nischen sind in der für die Inka-Zeit typischen Trapezform gebaut. Auf dem Hügel hinter der Ruine befindet sich der Inka-Friedhof. Ein Fußweg führt vorbei an offenen Gräbern und alten Knochen. Lange vor den Inkas entwickelte sich an der Küste südlich von Lima die Nasca-Kultur. Sie hatte ihre Hochzeit zwischen 100 und 600 n. Chr. Die Nascas bauten Pyramiden und Häuser aus Lehm, sie webten, sie töpferten und sie schnitten ihren Feinden bei lebendigem Leib die Köpfe ab. Damit diese nicht schreien konnten, nähten sie ihnen kurzerhand die die Münder mit Nadeln und Dornen zu. Starb der tapfere Krieger, wurden seine Trophäenköpfe mit ihm begraben. In Chauchillo, in der Nähe von Nasca, gibt es einen Friedhof, auf dem etliche Gräber und Mumien aus jener Zeit und Kultur zu sehen sind. Die Nascas haben ihre Toten einzeln bestattet. Sitzend, eingehüllt in mehrere Lagen Stoff und fest verschnürt kamen sie in ein gemauertes Grab unter der Erde. Die Nascas waren es auch, die der Welt ein einzigartiges Rätsel hinterlassen haben, an dem sich Wissenschaftler seit vielen, vielen Jahren die Köpfe zerbrechen: Die Nasca-Linien, jene geheimnisvollen Geoglyphen im Wüstenboden. Über 100 Figuren, Trapeze und Linien wurden wenige Zentimeter tief und ca. 25 Zentimeter breit in den Wüstenboden gekratzt. Die Dimensionen dieser Figuren sind so riesig, dass man sie eigentlich nur von oben richtig erkennen und betrachten kann. Die Flugzeuge, kleine sechssitzige Maschinen, fliegen entweder vormittags bis 10 Uhr oder nachmittags ab 16 Uhr. Wir haben Glück. Wir fliegen um 16 Uhr und haben beste Sichtverhältnisse und hervorragendes Licht. Deutlich sind die Linien unter uns auf dem Wüstenboden zu sehen. Der Pilot kippt das Flugzeug mal nach links, mal nach rechts und dreht waghalsige Pirouetten, um uns nacheinander die wichtigsten Figuren zu zeigen.
Nach dem Flug stoßen wir gemeinsam mit Liz und Colin sowie mit vier anderen Reisenden, die sich mit uns den Parkplatz im Hostal teilen, auf unser einjähriges Reise-Jubiläum an – natürlich mit Pisco Sour, dem Nationalgetränk Perus. Colin bestellt »muy grande«, extra groß, und irgendjemand ordert eine zweite Runde. Am Tag darauf sind alle ein bisschen stiller als gewöhnlich.
Einen Tag später allerdings geht es lautstark zur Sache. Wir stehen an der Rezeption und wollen bezahlen. Fünf Soles pro Person und Nacht – so hatte man uns bei unserer Ankunft gesagt. Nun will man plötzlich statt der fünf Soles fünf Dollar haben. Schließlich würde man als Tourist ja immer und überall alles in Dollar bezahlen, so die fadenscheinige Begründung. Nachdem der Umrechnungskurs Soles in Dollar von einem Verhältnis 1:1 meilenweit entfernt ist, kommt es zu einem heftigen Wortgefecht zwischen Tobias und dem Hotelangestellten, das damit endet, dass die beiden vor die Tür gehen, damit niemand sieht und hört, wie sie sich die Köpfe einschlagen. Am Ende zahlen wir fünf Soles.
Keine fünf Minuten später werden wir von der Polizei gestoppt. Bisher hatten wir in Peru nur gute Erfahrungen mit der Policia Carretera gemacht. Meistens waren die Beamten nur neugierig und wollten wissen, woher wir kommen, wohin wir fahren – das Übliche. Der Polizist, der nun an unserem Fenster steht, scheint noch nicht genau zu wissen, was er von uns will. Um ihn erst gar nicht in Versuchung zu bringen, nach unseren Dokumenten zu fragen oder gar eine kleine »Finanzspritze« zu verlangen, halten wir ihm die Landkarte unter die Nase und fragen ihn nach dem Weg. Dumm nur, dass er uns in die Richtung zurück schickt, aus der wir gerade kommen. Wir bedanken uns höflich und setzen unsere Fahrt fort – zur Verblüffung des Beamten.
Unser Weg nach Cusco führt über die Berge, vorbei an dem »Reserva Nacional Pampa Galeras«, einem Vicuña-Schutzreservat, in dem etwa 30.000 Vicuñas leben. Die an sich scheuen Tiere grasen und traben in kleinen Herden friedlich direkt neben und manchmal sogar auf der Straße. Zu dieser Jahreszeit haben die Herden viele Jungtiere, die uns aus sicherer Entfernung, meist hinter dem Rücken der Mama, genauso neugierig und interessiert betrachten, wie wir sie. Nach etwa einhundert Kilometern stoßen wir auf die ersten Ortschaften. Die Menschen grüßen uns freundlich, winken und lachen. Welch ein Unterschied zur touristischen Küstenregion. Auch die Preise sind hier wieder normal und nicht speziell für Gringos gemacht. In Lucanas kaufen wir Käse – eineinhalb Kilogramm für 14 Soles. In Puquío essen wir zu Mittag – 2,50 Soles für Suppe, Hühncheneintopf mit Reis und Tee. Als wir dann kurz vor Cusco die Inka-Ruinen von Saywite besuchen, erleben wir zum ersten Mal, dass auch hier in Peru an manchen Orten für Ausländer andere, nämlich höhere, Eintrittspreise gelten als für Einheimische. Die Ruine ist nichts Besonderes und auch nicht unbedingt sehenswert. Lediglich der »Piedra de Saywite« hat es uns angetan. In diesen halbkugelförmigen Stein von vier Metern Durchmesser wurde eine Art Landkarte eingehauen, die die wichtigsten Inka-Stätten zeigt.
Und dann sind wir in Cusco. Für die meisten Reisenden ist Cusco ein Zwischenstopp auf dem Weg nach Machu Picchu. Entsprechend groß ist der Rummel in der Stadt. Der Campingplatz ähnelt einem Globetrotter-Treffen: Colin und Liz im Camper, Thekla und Flo im VW-Bus, Kim und Douglas ebenfalls im VW-Bus, Christine und Tom auf Motorrädern, Diane und Johan im Truck, eine holländische Familie im Toyota, ein französisches Pärchen im Landy – dem ersten Landy-Reisemobil übrigens, das wir auf unserer Reise treffen. Abends auf der Plaza ruft jemand meinen Namen. Tobias und ich trauen unseren Augen kaum, als plötzlich eine ehemalige Arbeitskollegin vor uns steht. Vielleicht ist ja doch was dran an der Geschichte vom »Nabel der Welt« - wie die Inkas ihre einstige Hauptstadt nannten. Hier in Cusco wurde das Inka-Reich gegründet und von hier aus dehnte es sich in alle vier Himmelsrichtungen aus. Noch heute sind etliche Gebäude der Stadt auf alten Inka-Mauern errichtet. Die typische Inka-Bauweise zeichnet sich dadurch aus, dass riesige, tonnenschwere Steinquader fugenlos aufeinander geschichtet wurden.
Wir besuchen die Inka-Ruine Saqsaywaman, deren Grundriss angeblich der Form eines Falken nachempfunden ist. Oder war es doch ein Kondor? Die Guides jedenfalls, die wissbegierige Touristen durch die Anlage führen, scheinen sich in diesem Punkt nicht einig zu sein. Was uns angeht, so
macht sich allmählich eine leichte Übersättigung an alten Gemäuern bemerkbar. Auf Q’enqo, Pukapukara und Tambomayo werfen wir lediglich einen kurzen Blick – im Vorbeifahren, auf dem Weg nach Pisaq. Unsere Ruinen-Müdigkeit ist schnell vergessen, als wir die Ruinen von Pisaq sehen. Oben am Berg, hoch über der Stadt thront die dreigeteilte Anlage. Sie ist von der Stadt aus über einen steilen und mühevollen Fußweg zu erreichen. Unsere Reisegruppe bestehend aus den beiden Engländern, Liz und Colin, sowie Tobias und mir, heuert ein Taxi an und lässt sich auf die andere Seite des Berges zum obersten Zugang fahren, um über die Ruinen wieder hinunter in den Ort abzusteigen. Pisaq fasziniert uns sofort. Riesige Terrassenfelder ragen wie eine grüne Gletscherzunge ins Tal hinab. Zahllose Wege führen zwischen den Feldern und den Gebäuden hin und her. Vom mittleren Teil der Anlage, dem heiligen Zentrum, schließlich hat man einen genialen 360-Grad-Panorama-Blick ins heilige Tal der Inkas. Leider ist der Markt von Pisaq – zumindest der am Donnerstag – nicht halb so beeindruckend. Artesania-Stand neben Artesania-Stand. Alle mit den gleichen Pullovern, Mützen, Handschuhen, Decken, Püppchen. Alle mit den gleichen, unverschämten Preisen. Ein Pullover sticht mir ins Auge, angeblich aus Alpaka, 130 Soles soll er kosten. Ich fange gar nicht erst an zu handeln. Eine gute Entscheidung, denn ein paar Tage später werde ich den gleichen Pullover für 20 Soles in Chincero kaufen.
Noch touristischer als Pisaq, dafür aber zumindest pittoresk, ist Ollanta. Der kleine Ort lebt weniger von denen, die sich für die Ruinen von Ollantaytambo am Ortsende interessieren, als von denen, die eine preiswerte Alternative für den Zug nach Machu Picchu suchen. Wer hier den Zug nach Aguas Calientes besteigt, zahlt deutlich weniger als wenn er in Cusco einsteigt – aber immer noch einen horrenden Preis. Wir machen in Ollanta Halt, um von hier aus weiter nach Santa Teresa zu fahren. Santa Teresa ist der näheste an Machu Pichu bzw. Aguas Calientes liegende Ort, der mit dem Auto erreichbar ist. Wir wollen dort unser Auto abstellen und nach Aguas Calientes laufen – um uns so die teure Zugfahrt zu sparen. In den letzten zwei Wochen haben Tobias und ich immer wieder darüber diskutiert, ob wir uns Machu Picchu überhaupt ansehen und damit das korrupte System Perus unterstützen sollen oder nicht. Alle Ruinen in Peru kosten um die elf Soles Eintritt. Das entspricht etwa drei Euro. Der Eintritt nach Machu Picchu kostet vierzig Dollar – und soll ab nächstem Jahr sogar auf einhundert Dollar erhöht werden. Seit das Management der Anlage privatisiert wurde, also nicht mehr dem Staat direkt unterliegt, lassen sich die Eintrittspreise ins Unermessliche steigern. Hinzu kommt, dass alle Wege nach Machu Picchu über den Ort Aguas Calientes führen. Aguas Calientes jedoch ist nicht mit dem Auto zu erreichen, sondern nur per Zug oder zu Fuß – wahlweise
auf dem Inka-Trails, der auf Monate im Voraus ausgebucht ist, auf einem alternativen Inka-Trail im Rahmen einer organisierten Tour, oder in Eigenregie über Santa Teresa und einen mehrstündigen Fußmarsch entlang der Bahngeleise. Einmal in Aguas Calientes angekommen, muss man sich erneut entscheiden, ob man mit dem Bus hoch zu den Ruinen fährt und für diese zwanzigminütige Fahrt sechs Dollar pro Person bezahlt, oder zu Fuß den Berg erklimmt. Egal, wie man es dreht und wendet, der Besuch von Machu Picchu ist ein kostspieliges Unternehmen. Wer mit dem Zug von Cusco aus anreist, eine Nacht in Aguas Calientes verbringt, am nächsten Morgen den Bus zu den Ruinen nimmt, zahlt alles in allem etwa soviel, wie ein peruanischer Handwerker in einem Monat verdient. Wer in Europa wäre schon bereit, für die Besichtigung einer mittelalterlichen Burgruine einen kompletten Monatslohn hinzublättern? Wir jedenfalls nicht. Aus diesem Grund – und auch, weil er Abenteuer verspricht – wählen wir den Weg über Santa Teresa.
Im Morgengrauen brechen wir, gemeinsam mit Liz und Colin, von Ollanta aus auf, weil wir hoffen, womöglich noch am selben Tag bis Aguas Calientes zu kommen. Eine gute, asphaltierte Straße führt auf den Pass Abra Malaga hinauf und endet dann abrupt in einer Baustelle. Das wäre an sich nicht weiter schlimm, wenn diese Baustelle, die etliche Kilometer lang ist, auch befahrbar wäre. Tatsächlich aber ist sie den ganzen Tag gesperrt – mit einer kleinen Ausnahme zwischen zwölf und dreizehn Uhr. Für uns heißt das: Warten auf die Mittagspause, zweieinhalb Stunden lang. Als es endlich weiter geht, fängt es an zu regnen. Das Wasser verwandelt die Piste in ein glitschiges und rutschiges
Schlammloch. Mittlerweile wären wir schon zufrieden, wenn wir Santa Teresa noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen würden. Doch gerade das letzte Stück ab Chaullay hat es in sich. Die Piste wird zunehmend enger, steiler und matschiger. Immer wieder müssen wir entgegenkommenden Autos ausweichen. Aber wohin soll man ausweichen, wenn man die Wahl zwischen der Felswand auf der einen und dem Abgrund auf der anderen Seite hat? Es ist schon dunkel, als wir endlich in Santa Teresa ankommen. Bunte Reklameschilder weisen dem Fremden den Weg von einer Unterkunft zur nächsten, zu Restaurants und Reisebüros. Gemäß meiner Vorstellung hätte Santa Teresa ein ruhiger, beschaulicher Ort sein sollen. Aber ruhig geht es hier nicht zu. In Sekundenschnelle sind wir von Kindern umringt. »Hospedaje? Restaurante? Pizza? Pisco Sour?« - ruft man uns durch die geschlossene Scheibe zu. »Tour nach Machu Picchu?« - »Taxi?« - versucht man, Geschäfte mit uns zu machen. In Santa Teresa weiß man, was Touristen wünschen. Santa Teresa ist längst kein Geheimtipp mehr. Jeden Tag starten Dutzende Reisender von hier aus nach Aguas Calientes. Happy Hour, zwei Pisco Sour für den Preis von einem – auch das gibt es schon in Santa Teresa. Wir bestellen vier Pisco Sour in der Hoffnung, nur zwei bezahlen zu müssen. Doch als die erste Runde geleert ist, stellt der Wirt uns vier weitere Gläser auf den Tisch. Auch gut. Dann trinken wir zusammen eben acht und zahlen vier. Denken wir. Doch als der Wirt die Rechnung bringt, kostet der Pisco Sour plötzlich doppelt so viel wie auf der Karte steht. »Das ist so in der Happy Hour«, lautet die Erklärung. Mag ja sein, dass es genug Dumme gibt, die dann den Geldbeutel zücken und sich ausnehmen lassen. Aber nicht mit uns. Diese Happy Hour jedenfalls ist für den Wirt keine »glückliche Stunde«.
Am nächsten Mogen wollen wir die erst in diesem Jahr neu gebaute Straße bis zum Kraftwerk, der »Hidro- Electrica« fahren, und unser Auto kurz vorher bei einem Bauern einstellen. Es hätte alles so einfach sein können … Achthundert Meter vor dem Kraftwerk versperren uns riesige Felsbrocken den Weg. Vor einer Woche war der Hang das erste Mal gerutscht. Dazwischen war die Straße soweit geräumt worden, dass sogar einige Fahrzeuge durchkamen. Dann rutschte der Hang ein zweites Mal – wenige Minuten bevor wir an der Stelle eintreffen. Es geht doch nichts über ein ausgedehntes Frühstück – ohne dieses säßen wir nun wahrscheinlich auf der anderen Seite des Erdrutsches
in einer Sackgasse in der Falle. Wir drehen um. Allerdings nur, um einen sicheren Stellplatz für unsere Autos zu suchen. Der erste Bauernhof ist menschenleer. Am zweiten Hof will man sich mit der Idee, zwei Tage lang auf zwei Fahrzeuge aufzupassen, nicht so recht anfreunden. Wir sollen zur neu gebauten Brücke gehen, rät man uns. Dort gebe es rund um die Uhr einen Wachmann. Der Wachmann für die Brücke erklärt sich, gegen ein kleines Trinkgeld, bereit, auf unsere Fahrzeuge aufzupassen. Wir drücken ihm
als Vorschuss eine Flasche Cola in die Hand und marschieren los. Ganz wohl ist mir dabei nicht. Unsere Fahrzeuge stehen direkt an der Straße, spätestens morgen weiß also jeder Einheimische und jeder Tourist Bescheid. Und überhaupt: Wie sicher kann eine Gegend sein, die einen Wachmann für ihre Brücke braucht?
Bereits wenige Meter hinter dem Kraftwerk kann man Machu Picchu zum ersten Mal sehen. Von unten. Die rote Flagge auf einer der Bergspitzen markiert das Sonnentor. Auf dem Bergrücken links davon sehen wir einige Gebäude und erkennen sogar Menschen. Einen Tag später werden wir selbst dort oben stehen, auf dem heiligen Platz, dem »Inticancha«, und auf die Bahngeleise herabblicken. Die Inkastadt Machu Picchu liegt schwer zugänglich auf einem Bergplateau in 2500 Metern Höhe, eingerahmt von steilen, karstigen Bergspitzen. Nur schmale Fußwege führen in die Stadt hinein, vorbei am Wärterhäuschen, das oberhalb der Stadt thront, und von dem aus man die gesamte Anlage überblicken kann. Drei Stunden laufen wir entlang der Bahngeleise – über Bahnschwellen, die aus Gründen, die uns verborgen bleiben, in unregelmäßigen Abständen aufeinander folgen, so dass das Laufen zwangsweise aus dem Tritt gerät. Die Kieselsteine, die die Zwischenräume auffüllen, erschweren das Laufen zusätzlich. Als wir in Aguas Calientes ankommen, tut uns alles weh.Schnell eine heiße Dusche, dann ein schneller Rundgang durch die Stadt. Aguas Calientes hat starke Ähnlichkeit mit einem österreichischen Skiort – Restaurants, Bars, Souvenirläden - nach zehn Minuten haben wir alles gesehen. Auch hier wirbt man mit Happy Hour – sogar vier Pisco Sour zum Preis von einem soll es geben. Diesmal erkundigen wir uns vorher nach dem Preis. Tatsächlich kosten vier Pisco Sour so viel wie einer. Wir greifen zu – und merken den Nepp erst, als man uns den Pisco Sour in Gläsern, kaum größer als Fingerhüte serviert. Pünktlich um 4:30 Uhr sitzen wir am Frühstückstisch. Ab vier Uhr könnte man frühstücken, hatte es geheißen. Doch außer Kaffee, Tee und Orangensaft wird uns nichts serviert. Gerade als sich unsere Geduld dem Ende zuneigt, kommt der Küchenjunge mit einer Tüte Brötchen in der Hand ins Hotel gestürmt. Die Bäckerei macht nämlich erst um fünf Uhr auf. Wir schaffen es trotzdem, kurz nach Sonnenaufgang am Wärterhäuschen zu sitzen und hinunter auf Machu Picchu zu blicken – oder besser gesagt, dahin, wo wir die Stadt vermuten. Dichter Nebel umgibt uns. Wir warten zwei Stunden auf der zugigen Plattform, ohne auch nur den Umriss eines Gebäudes oder die Kontur einer Mauer erkennen zu können. Dann plötzlich geht ein Raunen durch die Menge. Von einer Sekunde auf die andere reißt die Nebelwand auf und gibt den Blick frei auf Machu Picchu. Im Hintergrund erhebt sich majestätisch Waynapicchu, der steile Berggipfel, über der Anlage. Genau so kennt man Machu Picchu von tausenden von Bildern, von Postern und Postkarten. Nur ein paar Minuten ist die Stadt zu sehen, dann wird sie wieder vom Nebel verschluckt, als wäre sie nie da gewesen. Wir steigen hinab und betreten Machu Picchu durchs Stadttor, laufen durch die Gassen des Wohnviertels, vorbei am Palastviertel und den Bädern, steigen hoch zum Heiligen Platz, schlendern über den Hof, besichtigen das Handwerkerviertel, wagen uns ins Gefängnis, bestaunen die Terrassen – und sitzen am Ende doch wieder oben am Wärterhäuschen. Über eine Stunde lang lassen wir den grandiosen Anblick dieser Inka-Stadt auf uns wirken. Inzwischen ist die Stadt zum Leben erwacht. Überall sind Menschen zu sehen. Sie steigen die steilen Treppen hinauf und hinunter, sie stehen in Grüppchen beisammen oder sitzen auf den Steinen. Lamas grasen auf der Wiese. Kinder schreien. So ähnlich mag es auch vor 500 Jahren zugegangen sein.
Das Besondere an Machu Picchu ist zweifelsohne seine Lage, eingebettet zwischen tiefen Schluchten und steil aufragenden karstigen Felsen. Davon abgesehen ist es eine Inka-Ruine wie viele andere auch, nicht mehr und nicht weniger beeindruckend. Es gibt in Peru etliche Inka-Ruinen, die Machu Picchu mindestens ebenbürtig sind – Pisaq und Choquequirao zum Beispiel. Jetzt, da wir Machu Picchu kennen, können wir noch weniger als vorher verstehen, warum alle immer nur zu dieser einen Ruine pilgern.
Es hat zu regnen begonnen, als wir uns zu Fuß auf den Rückweg nach Santa Teresa machen. Als wir die Brücke erreichen, an der unsere Fahrzeuge auf uns warten, erleben wir eine Überraschung. Sowohl der Camper als auch unser Landy sind unversehrt – und gewaschen. Der Wachmann hat sich sein Trinkgeld redlich verdient. Über die Ruinen von Ollantaytambo, die Salzterrassen von Marás und den malerischen Ort Chincero, dessen Kirche teilweise auf alten Inkamauern erbaut wurde, fahren wir zurück nach Cusco und treffen dort auf alte Bekannte. Tom und Christine sind noch da. Ebenso Kim und Douglas. Ein defekter Turbo hatte ihnen einen längeren Aufenthalt in Cusco beschert als ursprünglich geplant. Thekla und Flo sind schon im Aufbrechen. Wir beschließen, ein paar Tage auszuspannen und endlich mal all die Dinge zu erledigen, die dringend getan werden müssen: Wäsche waschen, Knöpfe annähen, Bilder sortieren, Reiseliteratur lesen und die nächsten Etappen planen. Und dann endlich, vier Tage später, haben wir einen Plan. Sillustani und Arequipa heißen unsere nächsten und letzten Ziele in Peru. Den Titicacasee, Puno und die schwimmenden Schilfinseln der Uros lassen wir bewusst aus. Nach allem, was wir von anderen Reisenden gehört haben, muss der Titicacasee auf der peruanischen Seite eine einzige Kloake sein, in die die gesamte Stadt Puno ihre Abwässer leitet. Mittendrin in diesem Dreck schwimmen ein paar Schilfinseln, die von den Nachfahren der Uros abwechselnd »bewohnt« werden, um die touristische Attraktion der Region aufrecht zu erhalten. Nein, danke.
Stattdessen besuchen wir Sillustani. Auf einer Halbinsel im Umayo-See, stehen hier verstreut etliche »chullpas«. Die Grabtürme stammen aus der Colla-Kultur (ca. 1200 n. Chr.). Als die Inkas im 15. Jahrhundert die Halbinsel eroberten, übernahmen sie den Begräbniskult und bauten nun ihrerseits Türme in der üblichen Bauweise – mit riesigen Steinquadern, fugenlos aufeinander geschichtet. Wir erreichen die Grabtürme in der Dämmerung und erleben einen faszinierenden Sonnenuntergang über den Bergen. Auf der anderen Seite, Richtung Titicacasee, durchschneiden Blitze den dunklen Himmel. Und plötzlich wirkt der Ort noch mystischer und unheimlicher als zuvor.
Ein Ort der Ruhe ist das Kloster Santa Catalina in Arequipa. Ursprünglich bewohnten 150 Nonnen und 400 Dienstmädchen das Areal, das über 20.000 km² groß ist. Seit 1970 ist der Großteil des Klosters für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Häuser, in denen einst die Nonnen wohnten, wurden im maurischen Stil aus weißem Tuffstein erbaut. Heute leuchten die Gassen in warmen Rot- und kräftigen Blautönen. Außerhalb des Klosters dagegen kleidet sich Arequipa nach wie vor ganz in Weiß – und besticht durch ein spektakuläres Panorama. Hinter der Kathedrale ragen die schneebedeckten Gipfel des Vulkans Misti und des Nevado Chachani in den Himmel. Der Colca-Cañon, der Cotahuasi- Cañon, das Valle de los Volcanes ... es gäbe noch viel zu sehen und zu tun in Peru. Doch uns zieht es weiter. Chile liegt so nah, dass wir jetzt unbedingt über die Grenze müssen – sei es auch nur für einen kurzen Abstecher.