Route: Baltimore / Maryland – Blue Ridge Mountains / Virginia – Smoky Mountains / Tennessee – Savannah / Georgia – Okefenokee Swamps / Georgia – Alabama – Vicksburg / Mississippi – Louisiana – Amarillo / Texas
Nur ungern verlassen wir die Blauen Berge Virginias, die ihrem Namen alle Ehre machen. Am Horizont zeichnen sich zum Teil sieben, acht, neun blaue Bergketten hintereinander ab. Und so weit das Auge reicht, sieht man nichts als Wald. Nur hie und da blitzt mal ein Farmhaus aus dem dichten Grün hervor. Auch die Smoky Mountains halten, was ihr Name verspricht. Bereits nach den ersten Metern fahren wir durch dichten Nebel, um dann wieder an anderer Stelle die aus dem Tal aufsteigenden Wolkenfetzen bewundern zu können. Eine fantastische Landschaft. Wir besuchen die Orte Bryson, Cherokee und Gatlinburg, die mehr einem Freizeitpark für konsumwillige Touristen als einer idyllischen Kleinstadt ähneln. Entsprechend kurz ist unsere Verweildauer.
Weiter geht es Richtung Süden, durch die Georgia Mountains nach Athens, wo Tobias zwei Jahre lang studiert hat. Nach einem ausgiebigen Rundgang durch die Universitätsstadt setzen wir unsere Fahrt auf dem Heritage-Trail, Highway 441, fort – vorbei an dichten Wäldern und malerischen Seen, an Pfirsich- und Erdnuss-Plantagen und den klassischen Südstaaten-Häusern aus roten Klinkern, mit weißen Säulen und Schaukelstühlen auf der Veranda. Es ist Sonntag. Scheinbar der Tag des großen Rasenmähens. Immer wieder winkt man uns freundlich zu. Hier ist die Welt noch in Ordnung.
In Savannah, diesem alten britischen Kolonialstädtchen, ist noch deutlich das Flair vergangener Zeiten zu spüren, in denen im Hafenviertel die Baumwoll-Ballen verladen worden sind. Wir übernachten auf Skidaway Island, einem suptropischen Sumpfgebiet in den Salzmarschen. Tobias schraubt zum ersten Mal am Auto und lässt das Wasser am Kraftstofffilter ab. Wir vermuten, dass der PKW-Diesel, den wir getankt haben, zuviel Wasser enthalten hat.
Allmählich verändert sich nicht nur die Vegetation, sondern auch die Temperatur. Es wird heißer. In den Okefenokee Swamps, einem Sumpfgebiet an der Grenze zu Florida, zeigt das Thermometer 39 Grad an – Außentemperatur. Im Auto klettert es auf 49 Grad. Uns kann die Hitze nicht davon abhalten, die Sümpfe mit dem Kanu zu erkunden. Unermüdlich paddeln wir durch Zypressenwälder und Seerosen-Wasserprärien. Das Wasser ist so schwarz und still, dass die Oberfläche wie ein Spiegel wirkt. 200.000 Alligatoren leben angeblich in Georgia, sicherlich die Hälfte davon in den Sümpfen. 14 haben wir getroffen.
Nach 13 Meilen und 6 Stunden Paddeln haben wir unseren Bewegungsdrang erst einmal gestillt. Vor uns liegt eine lange, lange Fahrt nach Westen, denn wir wollen den Mittelteil der USA schnell durchqueren. Wir fahren durch West-Georgia und Alabama – und immer noch ist rings um uns herum nur Wald zu sehen. Unser nächstes Etappenziel heißt Vicksburg im Staate Mississippi und auch direkt am gleichnamigen Fluss gelegen. Schon den ganzen Tag freue ich mich darauf, ihn endlich zu sehen, den Mississippi. Als es dann soweit ist, bin ich enttäuscht. Vicksburg liegt an einer der schmälsten Stellen des Flusses, auf beiden Seiten nur Wälder und kein einziger Schaufelraddampfer weit und breit. Beim Tom Sawyer und Huckleberry Finn sah das anders aus. Fahrten auf einem Schaufelraddampfer kann man nur in Tunica, ca. 200 Meilen nördlich, buchen. Tobias versucht, mich aufzumuntern, schlägt sogar vor, wir könnten doch in einem der Casino-Schiffe zu Abend essen – immerhin locken diese mit Buffets für 9 Dollar pro Person. Aber als ich sehe, dass die Casino-Schiffe gar nicht im Wasser liegen, sondern allesamt fest auf dem Trocknen verankert sind, vergeht mir auch darauf die Lust. Stattdessen besichtigen wir im Military Park die Originalschauplätze der berühmten Schlacht von Vicksburg von 1863 – ohne zu ahnen, dass ein Sturm einer ganz anderen Art auf Vicksburg bevorsteht.
Als das Unwetter losgeht, sind wir gerade auf dem Highway unterwegs. Von einer Sekunde auf die andere ist es dunkel. Es stürmt, blitzt, donnert und regnet so stark, dass wir rechts ranfahren und anhalten. Nur ein paar Minuten dauert der Spuk, dann ist der schwere „Thunderstorm“ über uns hinweg gezogen und nimmt Kurs auf Vicksburg. Mit 110 km/h – wie wir aus dem Radio erfahren. Über Radio verfolgen wir auch mit, wie der Sturm in Vicksburg das Stromnetz lahm legt und etliche Bäume umknickt. Gut, dass der Mississippi nicht zum Verweilen eingeladen hat.
Seit Tagen schon zeigt unser Tacho unbeirrt 270 Grad West. Schnurgerade führt die Straße durch Alabama, Mississippi, Louisiana und Texas hindurch. Wir lassen Dallas und Fort Worth links liegen, schließlich wollen wir zügig vorankommen. In Abilene biegen wir dann aber doch nach Norden ab, um Amarillo einen Besuch abzustatten. Und endlich entdecken wir das Texas, das wir uns immer vorgestellt haben. Kein Wald mehr, kein Hügel, kein Schatten. Nur noch unendliche Weite mit freiem Blick bis zum Horizont, ein rauer Wind, der über die trockene Erde fegt, hier und da ein paar Rinderfarmen, ab und zu ein paar verschlafene Ortschaften, deren Ortsschilder anzeigen, wie viele Einwohner es hier gibt. Die Angaben bewegen sich zwischen 300 und 1000. Vereinzelt sehen wir Windräder zur Wasserförderung auf den Feldern stehen – und natürlich immer wieder Ölpumpen, die unermüdlich den Wohlstand der Texaner mehren. Und manchmal weht einem der Wind einen Schwall dieses typischen Rohöl-Geruchs in die Nase. Von wegen, Geld stinkt nicht!
Bei 41 Grad – ohne Schatten – wandern wir durch den Palo Duro Canyon und verdienen uns unser Abendessen: ein exzellentes Steak im bekanntesten Restaurant Amarillos, dem Big Texan, das seine Gäste mit einem witzigen Werbegag anlockt. Wer es schafft, sein 2-kg-Steak innerhalb von einer Stunde aufzuessen, muss es nicht bezahlen. Angesichts der Tatsache, dass wir vor drei Jahren in Argentinien schon vor einem 600g-Steak kapituliert haben, versuchen wir gar nicht erst, ein halbes Rind zu verdrücken.
Jeden Dienstag ist in Amarillo große Rinderauktion, eine der größten der Welt, übrigens. Da die Auktion offiziell um 10 Uhr beginnt – in Wirklichkeit natürlich erst so gegen 10.30 Uhr – nutzen wir die Zeit davor für ein Frühstück im Stockyard-Café und beobachten, wie die Rancher mit ihren Viehanhängern vorfahren. Die Auktion selbst ist ein echtes Highlight. In einem irren Tempo und in einem fast unverständlichen Singsang bringt der Auktionator ein Rind nach dem anderen an den Mann. An diesem Tag sind es insgesamt 3.000 Tiere, die den Besitzer wechseln.
Uns fällt auf, dass die Texaner zurückhaltender sind, als die Leute in den Südstaaten – aber nicht minder freundlich. Auch hier winken uns die Rancher im Vorbeifahren zu, auch hier will man wissen, woher und wohin. Generell merken wir, dass unser Auto immer wieder neugierige Blicke auf sich zieht. Ein junger Texaner, der uns entgegenkam, hat eigens gewendet und ist uns hinterher gefahren, um zu fragen, was das denn für ein Auto sei. Die Marke Landrover kennt man zwar in den USA, aber nicht den Defender. Und das Hubdach ruft allerorts Staunen hervor. „Neat“ – also süß, putzig – ist der häufigste Ausruf, den wir hören. Kein Wunder, denn im Vergleich zu den Mobile Homes der Amerikaner ist unser Landy wirklich winzig. Dafür kann unser Landy – je nachdem, wie’s gerade besser passt – mal als normaler PKW, mal als RV, also Wohnmobil, deklariert werden.